Leseprobe:      Heimreise auf Umwegen   (1. Kapitel)    
         
         
         
   

1. Am Pelso (Plattensee)

 

Fünf Reiter zogen im Trab auf der alten Heerstraße von Ravenna in Richtung Carnuntum. Sie hatten den Pass des Birnbaumer Waldes in den Julischen Alpen überwunden und näherten sich der Kreuzung, von der sie nach Osten zur Residenz des Langobardenkönigs Wacho weiterreiten mussten. Ihr Anführer war der Thüringer Prinz Amalafred. Der Langobardenkönig Wacho hatte seine Mutter, die Thüringer Königin Amalaberga, zu seiner Hochzeit eingeladen. Nach der Flucht aus Thüringen fühlte sich die Königin zu sehr geschwächt, um die Reise von Ravenna zur Residenz des Langobardenkönigs am See Pelso (Plattensee) anzutreten. Sie schickte ihren Sohn. Ihn begleiteten die beiden treuen Thüringer Gefolgsleute Hartwig und Siegbert. Sie waren Brüder und stammten aus Rodewin, einer kleinen Siedlung nördlich des Thüringer Waldes.

Zur Mittagszeit erreichte die Gruppe eine Kreuzung. Auf einer übermannshohen Steinsäule waren die Entfernungen zu den bedeutenden Zielen entlang der Straße in römischen Meilen angegeben. Geradeaus führte die alte Heerstraße nach Carnuntum an der Donau und rechts ging es auf einem unbefestigten Weg zur Residenz des Königs Wacho, der Wachoburg.

Amalafred ordnete eine Pause an und die beiden Männer der königlichen Leibwache lösten die Proviantsäcke von ihren Packpferden. Sie breiteten die Speisen und Getränke auf einer Decke aus.

„Wie weit ist es noch bis zur Residenz des Langobardenkönigs?“, wollte Siegbert wissen.

„Du kannst es wohl nicht erwarten, uns zu verlassen“, entgegnete ihm mürrisch sein Bruder Hartwig.

„Reg dich nicht auf! Es ist nicht meine Entscheidung, euch hier zu verlassen und allein in Richtung Vindobona weiterzureiten. Ich reise im Auftrag der Königin zurück nach Thüringen und werde den Kampf gegen die Franken organisieren“, rechtfertigte sich Siegbert.

Amalafred beschwichtigt den Streit der Brüder. Ihm wäre auch lieber, wenn Siegbert bei ihnen geblieben wäre, doch sein Gefolgsmann handelte auf Anweisung seiner Mutter.

Die drei jungen Männer kannten sich schon lange. In ihrer Jugend verbrachten sie viel Zeit zusammen in Rodewin, dem Geburtsort von Hartwig und Siegbert. Prinz Amalafred konnte dort der Strenge seines Vaters am Thüringer Königshof entfliehen und erlebnisreiche Tage verbringen.

Die Schlacht an der Unstrut vor vier Jahren zwischen den Thüringern und Franken veränderte alles. Nichts war mehr, wie es war. Der Krieg brachte viel Leid über die Menschen. Die Thüringer Königin Amalaberga floh mit ihren Kindern, den Getreuen, Kriegern, Handwerkern und Bauern nach Ravenna. In Vindobona (Wien) an der Donau konnten sie nicht weiterziehen, da im Ostgotenreich Unruhen ausbrachen. Es wurde nur der Königin mit ihren engsten Bediensteten erlaubt, die Weiterreise nach Ravenna fortzusetzen. Die Krieger und Bauern, die mit ihr aus Thüringen wegzogen, mussten sich im Langobardenreich niederlassen.

„Wann werden unsere Krieger, die im Langobardenreich bei Vindobona und im Tullnerfeld zurückgeblieben sind, ins Ostgotenreich reisen dürfen?“, wollte Siegbert von Amalafred wissen.

„Das ist schwer zu sagen. Es hängt davon ab, wer dort die Oberhand gewinnt. Es ist noch nicht entschieden ob sich die frankenfreundlichen oder kaisertreuen Fürsten im Ostgotenreich durchsetzen“, erklärte Amalafred.

„Ich denke, dass die Würfel bereits gefallen sind“, wandte Hartwig ein.

„Wieso?“, fragt Amalafred verwundert.

„Nach dem Tod des minderjährigen Ostgotenkönigs Athalarich wurde die politische Lage im Ostgotenreich instabil. Die frankenfreundlichen Fürsten wollten die Thüringer nicht bei sich haben, obwohl die ostgotische Regentin Amalasuntha Hilfe zugesagt hatte.“

„Das ist richtig, doch nun ist Theodahad ostgotischer König und er hat sich noch nicht eindeutig für die eine oder andere Seite entschieden“, erklärte Amalafred.

„Was ist, wenn er sich auf die Seite der Franken schlägt?“, wollte Siegbert wissen.

„Das wäre schlecht für uns. Meine Mutter müsste zu dem Kaiser in Konstantinopel oder den Langobarden fliehen. Ihr Leben wäre im Ostgotenreich in Gefahr und es könnte ihr so ergehen, wie ihrer Kusine Amalasuntha, die im Bad ermordet wurde“, erklärte Amalafred.

„Ich habe gehört, dass dein Onkel Theodahad hinter dem Mordanschlag stand?“, bemerkte Siegbert.

„Das ist durchaus denkbar. Seine Frau konnte Amalasuntha nicht ausstehen und wird die treibende Kraft bei der abscheulichen Tat gewesen sein.“

Die beiden Krieger der Leibwache hatten ein Feuer angezündet und hielten Eisenspieße mit Fleischstücken darüber. Der Duft war verführerisch. Hartwig reichte einen Schlauch mit Rotwein herum. Jeder trank davon und die Männer verschlangen hastig die gegrillten Fleischstücke.

„Wie steht Theodahad zu seiner Schwester, deiner Mutter?“, wollte Siegbert wissen.

„Ich weiß es nicht!“, bemerkte Amalafred unsicher.

„Ein gutes Verhältnis scheint er nicht zu seiner Schwester zu haben, sonst hätte er die Königin gleich bei ihrer Ankunft in Ravenna besucht.“, erklärte Hartwig.

Amalafred konnte die Argumente seines Gefolgsmannes Hartwig nicht entkräften. Beide waren sie zu einer Audienz in der Residenz des Ostgotenkönigs. Theodahad versprach seinem Neffen, dass er die Thüringer Königin in ihrer Villa am Stadtrand besuchen wollte, doch er ließ sich nicht sehen. Der Prinz war froh, dass er zu der Hochzeit von König Wacho reisen durfte. Das Leben in Ravenna war ihm zu langweilig geworden. In Vindobona bei den thüringer Kriegern würde er sich wohler fühlen und auch die Langobarden waren ihm angenehmer als die Ostgoten. Es wäre ihm lieber, wenn die Königin ins Langobardenreich zu ihren Leuten zurückkehrte und bei ihnen bliebe. Der Langobardenkönig Wacho hatte allen Thüringern in der Umgebung von Vindobona großzügig Land zugewiesen, welches sie bewirtschaften konnten und ihre Krieger durften sich seinen Heerzügen nach Illyrien anschließen und reiche Beute machen. Diese Möglichkeiten gab es im Ostgotenreich nicht.

Die Gruppe brach auf und Siegbert verabschiedete sich. Keiner wusste, ob und wann sie sich wiedersehen werden. Siegberts Auftrag war gefährlich. Er sollte die Rebellen im Thüringer Gebiet organisieren und anführen.

Auf der alten römischen Heerstraße, die von Ravenna nach Carnuntum (Petronell) führte, zog er allein weiter. Die Straße war ein Teil der Bernsteinstraße. Sie verlief von Venedig bis zur Ostsee. Es war ein alter Handelsweg, auf dem der begehrte Bernstein transportiert wurde. Aus dem harzigen Stein fertigten die Handwerker von Venedig Schmuck für die wohlhabenden römischen Frauen.

Amalafred, Hartwig und die beiden Wachleute ritten nach Osten in Richtung des Sees Pelso (Plattensee). Sie kamen in ein dichtes Waldgebiet. Der Weg wurde eng und sandig. Er war nicht ausgebaut, wie sie es von den Römerstraßen kannten.

Hartwig ritt neben dem Prinzen. Amalafred beobachtete ihn von der Seite. Sein Gefolgsmann machte einen traurigen Eindruck. Hungrig konnte er nicht sein und schlecht geschlafen hatte er auch nicht. Wieso blickte er düster drein?

„Hättest du deinen jüngeren Bruder gern nach Hause begleitet?“, fragte er ihn.

„Es sind viele Monde vergangen, seitdem ich meine Frau und die Kinder zum letzten Mal sah. Gern würde ich sie in die Arme schließen“, antwortete Hartwig betrübt.

„Wenn die Ostgoten eines Tages unseren Leuten in Vindobona erlauben, nach Italien weiterzureisen, kannst du heim zu deiner Familie reiten. Solange brauche ich dich in meiner Nähe.“

„Vielleicht wollen die Thüringer gar nicht mehr aus Vindobona weg. Ihnen gefällt es dort und König Wacho hat ihnen seinen Schutz zugesichert.“

„Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn sie im Langobardenreich ansässig würden. Meine Mutter denkt leider anders darüber“, gab Amalafred bedauernd zu.

„Einige der ostgotischen Fürsten wollen sich den Franken anschließen. Wenn das passiert, kämen wir vom Regen in die Traufe“, erklärte Hartwig.

„Ich hörte, dass der oströmische Feldherr Belisar bereits in Sizilien gelandet ist. Sein Kaiser wird niemals zulassen, dass sich die Franken in Italien breitmachen.“

„Mit dem oströmischen General ist nicht zu spaßen“, bestätigte Hartwig.

„Das denke ich auch. Wenn sich die Ostgoten mit den Franken verbünden, kommt es zum Krieg in Italien.“

„Das sind keine guten Aussichten. Wie wird deine Mutter darauf reagieren?“

„Es ist schwer zu sagen. Vielleicht hat sie schon bereut, in Ravenna Schutz vor den Franken zu suchen.“

„Ich denke, dass sie in Vindobona sicherer wäre. Der Langobardenkönig bot ihr seine schützende Hand an.“

„Du kennst meine Mutter. Sie hatte sich vorgenommen in ihre Heimat zurückzukehren und da gibt es nichts, was sie umstimmen könnte.“

Amalafred und Hartwig seufzten zur gleichen Zeit. Sie wussten, wie stur und eigenwillig die Thüringer Königin sein konnte.

Im letzten Jahr hatten sich unglaubliche Dinge ereignet. Nach der Ermordung des Thüringer Königs, lebte seine Frau Amalaberga in ständiger Angst. Sie war in Ravenna aufgewachsen und glaubte, nur dort vor den Franken sicher zu sein. Die Zeiten hatten sich jedoch geändert. Zu lange war sie weg aus ihrer Heimat. Ob die Thüringer Königin Schutz für sich und ihr Gefolge bei ihrem Bruder Theodahad finden konnte, war ungewiss. Der neue Ostgotenkönig galt als wankelmütig in seinen Entscheidungen. Die Geduld bei den ostgotischen Fürsten schien an ihre Grenzen zu stoßen. Einige dachten daran, den König zu stürzen und einen neuen zu wählen. In dieses Wespennest war die Thüringer Königin Amalaberga sehenden Auges geraten. Eine Sicherheit für ihr Leben und das ihrer Kinder gab es nicht.

Prinz Amalafred war die Situation bewusst, doch er konnte sich nicht gegen seine Mutter stellen. Er musste ihr gehorchen.

Ein Ochsenkarren war in der Ferne auf dem schmalen Weg zu sehen. Auf dem Karren saß ein kleiner Mann, der ohne Unterlass mit seiner langen Gerte auf das Gespann einschlug. Die Tiere reagierten nicht auf die Hiebe und trotteten langsam weiter. Seit Tagen war ihnen keine Menschenseele in der einsamen Gegend begegnet.

„Ich frage den Mann nach dem Weg, ob wir hier richtig sind“, sagte Hartwig und galoppierte auf das entgegenkommende Fuhrwerk zu.

Amalafred ritt ruhig im Schritt weiter und wunderte sich, dass sein Freund heftig auf den Ochsentreiber einredete und dieser nicht darauf reagierte. Der Mann auf dem Wagen schien den Thüringer nicht zu verstehen. Hartwig wurde wütend und schrie den Ochsentreiber unentwegt an. Der ließ sich nicht beirren und trieb seine Zugtiere mit der Gerte vorwärts. Amalafred blieb mit den Wachleuten und Packpferden auf dem Weg stehen.

„Was ist los?“, rief er Hartwig von weitem zu.

„Der Kerl will mir nicht sagen, wo es zur Wachoburg geht.“

„Lass ab von ihm. Er wird seine Stimme verloren haben.“

Hartwig näherte sich vorsichtig dem Ochsentreiber. Der hockte sprungbereit auf dem Karren und drohte ihm.

„Beruhige dich, ich will dir dein Gespann nicht wegnehmen. Wenn du nicht sprechen kannst, nicke.“

Der Mann nickte heftig. Es war ein Wunder, dass sein Kopf nicht von der Schulter fiel. Er riss den Mund weit auf und brachte nur undeutliche Laute hervor. Ihm fehlte die Zunge.

„Wir wollen zum König Wacho. Führt dieser Weg dorthin?“, fragte Hartwig.

Der Ochsentreiber sprang vom Karren und ritzte ein paar Linien mit seiner Gerte in den Sand des Weges. Als er fertig war, fiel er auf die Knie und verbeugte sich fortwährend, dass seine Stirn den Boden berührte. Verwundert sahen die Thüringer ihm zu.

„Was wird er wohl meinen?“, fragte Amalafred.

„Er will uns den Weg beschreiben. Die Verzweigungen, die er aufgemalt hat, sind die Wegkreuzungen. Fünf müssen noch kommen und es ist zu sehen, welchen Abzweig wir nehmen müssen. Am Ende hat er ein Tor angedeutet. Das müsste die Königsresidenz sein. In diese Richtung verbeugt er sich dauernd.“

Hartwig ging zu dem Mann und hob ihn auf die Füße.

„Wir haben dich verstanden. Du bist gar nicht so blöd, wie es den Anschein hat.“

Der Ochsentreiber grinste und riss wieder seinen Mund weit auf. Hartwig gab dem armen Wicht einen Apfel aus seinem Proviantsack. Der freute sich darüber und hörte mit dem Verbeugen gar nicht mehr auf, bis sie die Wegbiegung erreichten.

 

Am Tag darauf kamen ihnen zwei Frauen entgegen, die riesige Reisigbündel auf dem Rücken trugen. Sie bestätigten den Thüringern, dass sie auf dem richtigen Weg waren.

Je näher sie der Residenz des Langobardenkönigs kamen, umso mehr Menschen begegneten ihnen. Kleine Siedlungen waren zu sehen. Der Weg wurde breiter. Bauern sagten ihnen, dass der Königssitz nur einen halben Tagesritt entfernt lag. Hartwig hielt Ausschau nach einer Herberge. Sie wollten ausgeruht vor dem Langobardenkönig erscheinen. In einer Siedlung fragten sie nach einer Unterkunft. Die Leute zeigten auf ein schilfbedecktes Haus in der Nähe der Straße. Ein gefährlich aussehender, großgewachsener Mann stand vor der Eingangstür und winkte ihnen zu, einzutreten. Es war der Wirt der Herberge, die als solche nicht erkennbar war. Zwei Sklaven bemühten sich um die Pferde und führten sie in den Stall.

„Können wir bei dir übernachten?“, fragte der Prinz.

„Sehr gern, ihr Herren!“, antwortete der Wirt und zeigte ihnen den Raum, in dem sie schlafen konnten. Die Leibwächter blieben bei den Pferden im Stall und wurden dort von den Sklaven versorgt. Amalafred und Hartwig nahmen in der leeren Gaststube Platz. Die Wirtin brachte verdünnten Wein und fragte, was sie essen möchten.

„Bring uns von dem, was ihr auf dem Feuer habt. Es riecht gut“, sagte Amalafred und holte tief Luft.

Vom Wirt erfuhren sie Neuigkeiten über die Hochzeit des Königs. Es sollte ein großes Fest werden, wie es noch niemand im Langobardenreich erlebt hatte. Das Volk war froh, dass Wacho die junge Herulerin Silinga zur dritten Frau nehmen wollte und sie wünschten ihm Kindersegen. In seinem betagten Alter brauchte er unbedingt einen Sohn als Nachfolger.

Amalafred und Hartwig hörten dem Wirt aufmerksam zu. Das schien ihn anzuspornen. Er versuchte, sein ganzes Wissen über die neue Verbindung im Königshaus loszuwerden.

„Ich bin ein Heruler“, sagte er stolz und schlug sich mit der Faust auf die Brust.

Der Wirt sah seine beiden Zuhörer plötzlich ernst an.

„Seid ihr Langobarden?“, fragte er misstrauisch.

„Wir sind Thüringer!“, erwiderte Hartwig.

Der Wirt beugte sich zu ihnen hinunter.

„Das ist gut, denn jetzt werde ich euch etwas sagen, was nicht jedem hier gefällt.“

Vorsichtig sah er nach links und rechts als wären noch andere Gäste im Raum, die ihm zuhören könnten.

„Mein Volk wurde nach der verlorenen Schlacht gegen die Langobarden in alle Winde verstreut. Ein Teil blieb hier und trägt die Schmach der Niederlage. Wacho braucht unsere tapferen Krieger für seine Feldzüge. Keiner kann es mit ihnen aufnehmen. Sie sind gefürchteter als die Hunnen. Manche Langobarden sagen, dass wir rauflustig wären und man uns lieber aus dem Weg gehen sollte. Sie haben Recht!“

Der Wirt wollte nicht mehr aufhören, zu reden. Hartwig und Amalafred erfuhren verschiedene Dinge über die schwelenden Streitigkeiten zwischen den Volksgruppen.

„Da ihr Thüringer seid, kann ich euch vertrauen. Wir sind nur ein geduldeter Stamm im Langobardenreich. Es geht uns wie euch mit den Franken.“

„Was weißt du darüber?“

„In einem Gasthaus werden so manche Dinge erzählt, die nicht für jedermanns Ohren bestimmt sind. Mir wurde berichtet, dass ihr euch gegen die Franken tapfer wehrt. Wir haben den Widerstand aufgegeben.“

 

Die Thüringer blieben noch eine zweite Nacht und zogen ausgeruht zur Residenz des Langobardenkönigs weiter. Unterwegs trafen sie Bauern, die frisches Gemüse und Obst in die königliche Küche oder zum Markt brachten. Ihre Ochsenkarren hinterließen tiefe Spuren in dem unbefestigten, sandigen Weg. Eine leichte Brise wirbelte den Sand in die Höhe und ließ die Wagenkolonne wie eine ockerfarbene Schlange aussehen. Sie näherten sich dem Stadttor. In beide Richtungen drängten sich die Menschen und Karren hindurch. Niemand kontrollierte sie. Die Kleidung der Thüringer war mit einer Staubschicht überzogen.

„Suchen wir uns ein Quartier. Beschmutzt können wir nicht vor den König treten“, bestimmte Amalafred.

„Wacho wird es nicht stören! Soll er sehen, dass wir bemüht sind, rechtzeitig auf seiner Hochzeit zu erscheinen“, meinte Hartwig gelassen.

„Die ist erst in zwei Tagen“, ergänzte der Prinz.

 

Es war nicht leicht eine Unterkunft zu finden. Zahlreiche Gäste kamen aus allen Teilen des Reiches und es gab nur wenige freie Schlafplätze in den Herbergen. Nach langem Suchen fanden sie am Stadtrand ein kleines Gasthaus, das noch einen freien Raum unter dem Schilfdach hatte. Kritisch betrachteten die Thüringer die Unterkunft.

„Da waren wir gestern bei dem Heruler besser untergebracht. Dies ist eher ein Quartier für Rossknechte. Uns wird das Ungeziefer in der Nacht auffressen“, bemerkte Amalafred missgelaunt.

Er sah in jede Ecke des Dachbodens und rümpfte die Nase.

„Nehmen wir es. Später können wir uns eine bessere Herberge suchen.“

Der Wirt verlangte das Zehnfache von dem, was sie dem Heruler für die letzten Nächte gezahlt hatten. Die beiden Wachleute waren im Pferdestall untergebracht.

Amalafred und Hartwig ritten zum Königshof. Ein Beamter kam auf sie zu und fragte nach den Namen. Als er erfuhr, dass es sich um Prinz Amalafred aus Thüringen und seinem Gefolgsmann Hartwig handelte, wurde er rege. Er rief nach den Pferdeknechten, die sich um die beiden Schimmel der Thüringer kümmern sollten und bat die Gäste, ihm zu folgen.

Hartwig flüsterte Amalafred zu: „Wenn schon unser Quartier bescheiden ist, scheint man dich zumindest hier erwartet zu haben.“

Der Palast war kleiner und verwinkelter als der des Ostgotenkönigs in Ravenna. Kreuz und quer ging es treppauf und treppab. Am Ende eines langen Ganges gelangten sie in eine große Halle. Da sollten sie warten. Der Beamte schlüpfte durch eine kleine Seitenpforte. Es dauerte nicht lang und eine große Tür wurde aufgestoßen. Wacho lief mit ausgebreiteten Armen auf Amalafred zu.

„Es freut mich, euch zu sehen. Wann seid ihr angekommen?“

Die Thüringer verbeugten sich respektvoll vor dem König der Langobarden.

„Vor kurzem! Wir haben uns zuerst ein Quartier in der Stadt gesucht“, antwortete Amalafred.

„Das kommt nicht in Frage. Ihr seid meine Ehren-gäste und werdet bei mir in der Residenz wohnen. Fühlt euch hier wie zu Hause. Wir sehen uns heute Abend beim Essen.“

Der König war im Begriff zu gehen als er plötzlich stehen blieb und Amalafred ansprach: „Morgen früh will ich zur Jagd ausreiten und würde mich freuen, wenn ihr mich begleitet.“

Die Thüringer waren von dem begeisterten Empfang durch den König überwältigt. Sie hatten Wacho schon in Carnuntum kennengelernt und wussten, dass er spontan und einnehmend war. Die Einladung nahmen sie gern an. Der König nickte ihnen freundlich zu und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Der Beamte, der sie hierhergeführt hatte, befahl einem Diener, die Gäste in ihr Quartier im Palast zu geleiten. Er war kleinwüchsig mit kahlrasiertem Haupt. Flink schritt er durch einen langgedehnten Seitenflügel des Gebäudes entlang. Es folgte ein Gang, der zur Hofseite offen war. Am Ende begann der Wohntrakt für den König. Seine höheren Beamten und Gäste waren in einem Seitenflügel der Residenz untergebracht.

Hier sollten die Thüringer wohnen. Hartwig war von der Ausstattung der Räume begeistert.

„Das ist etwas anderes als die Herberge am Stadtrand“, rief er freudig aus.

Er ging auf die Terrasse. Sie befand sich auf der Südostseite des Palastgebäudes und war mit weißem Marmor ausgelegt.

„Komm zu mir Amalafred! Von hier aus kannst du den Pelso sehen. Ist das ein schöner Blick. Hier lässt es sich leben. Der See ist einfach überwältigend. Sieh nur, die Boote und Fischer mit ihren Netzen. Da drüben galoppiert eine Herde Pferde am Strand entlang und links vom See sind ein paar Weinberge.“

„Ich habe dich selten so begeistert gesehen. Würdest du gern hierbleiben, wenn die Hochzeit vorbei ist?“, scherzte Amalafred.

Hartwig ließ sich durch die spöttische Bemerkung seines Freundes nicht die Laune verderben. Sein Platz war bei dem Prinzen. Ihm hatte er die Gefolgschaft zugesagt und war durch seinen Treueeid an ihn gebunden. Nur dann, wenn der Prinz ihn freigeben würde, könnte er zu seiner Familie in die Heimat zurückkehren.

Amalafred sah sich die übrigen Räume an. Es waren drei Zimmer, die durch offene Türen miteinander verbunden waren. Der Stil erinnerte ihn an die römische Villa des Fürsten Audoin in Carnuntum. Zufrieden ging er zu seinem Freund auf die Terrasse und sagte mit einem zynischen Unterton: „Hast du dich an dem Wasser endlich satt gesehen?“

Hartwig störte es, dass Amalafred die Schönheit dieser Aussicht nicht wie er empfand.

„Ich werde unsere Sachen aus der Herberge holen“, sagte er in sachlichem Ton und lief eilig zur Tür.

Im Gang stand der Diener und schien sich zu langweilen. Er sah über die Brüstung auf den Hof hinab und beobachtete wer ankam.

„Ich will unser Reisegepäck aus der Herberge holen“, sagte Hartwig zu ihm.

„Das braucht ihr nicht, ich tue das für euch. Solange ihr Gast des Königs seid, werde ich alles für euch erledigen. Sagt mir nur, in welcher Herberge ihr abgestiegen seid.“

Umständlich versuchte Hartwig dem Mann zu erklären, wie sie mittags zu dem Quartier gelangten. Der Diener schien zu wissen, wo das war und versprach mit den Sachen und den beiden Wachleuten bald hier zu sein. Inzwischen sollten sie es sich gemütlich machen. Es erschien eine hübsche Sklavin mit einem Tonkrug. Sie schenkte den Gästen kühlen Wein ein. Hartwig nahm seinen Becher und setzte sich auf die Marmorbank neben der Tür.

„Jetzt geht es mir richtig gut!“, rief er laut und prostete Amalafred zu. Verhalten kostete der Prinz von dem Rebensaft und dachte an seinen letzten Rausch in Ravenna.

„Ich trinke lieber Wasser. Der Wein ist mir zu stark und vernebelt meine Gedanken“, bemerkte Amalafred.

„Tu, was du nicht lassen kannst. Ich werde dieses göttliche Getränk nicht verschmähen“, erwiderte sein Freund.

Hartwig holte den Krug und stellte ihn auf den gefliesten Boden.

„Wenn du nichts davon haben willst, trinke ich eben allein.“

Er goss sich seinen Becher erneut voll und trank ihn in einem Zuge aus.

Amalafred hatte nach der Sklavin gerufen und sich Wasser bringen lassen. Beide saßen schweigend auf der Terrasse und blickten über den See. Es kam, wie es kommen musste. Der Wein war zu stark und Hartwig sank nachdem er den Krug allein geleert hatte, in sich zusammen. Amalafred lächelte und legte ihn auf die Steinbank. Er hatte es geahnt und ließ seinen Freund schlafen.

Der Diener war zurückgekommen und ein paar Sklaven trugen das Gepäck der Thüringer. Sie stellten es im Eingangsraum ab.

„Wo sind meine Leibwächter untergebracht?“, wollte Amalafred wissen.

„Bei den Pferden in den Ställen. Soll ich sie holen?“

„Das brauchst du nicht. Sieh nach ihnen, dass sie alles haben, was sie benötigen.“

„Dafür sorge ich und wenn ihr noch etwas braucht, ruft nach mir. Ich bin sofort da“, antwortete dienstbeflissen der Diener.

„Du könntest mir das Gebäude zeigen, solange mein Gefolgsmann seinen Rausch ausschläft“, sagte Amalafred. Der Diener sah zu dem Weinkrug und lächelte.

„Diesen Tropfen aus unserer Gegend darf man nicht wie Wasser trinken. Schon ein paar Becher legen den stärksten Mann flach.“

„Du sagst es! Lass uns jetzt gehen!“

Sie liefen zu der Steintreppe am Ende des Ganges und kamen in den Hof. Amalafred wollte die Ställe sehen. Die Pferde waren gut untergebracht. Knechte versorgten die Tiere, die sich in Boxen frei bewegen konnten. In einem Raum, in der Nähe der Stallungen fand er seine beiden Krieger. Sie saßen da und würfelten, um die Langeweile zu vertreiben. Als sie Amalafred erblickten sprangen sie von ihren Schemeln auf. Der Prinz deutete ihnen, sich nicht stören zu lassen und schritt weiter zu dem Küchentrakt, der sich unterhalb des großen Saals befand. Unzählige Bedienstete mühten sich dort um die zeitgerechte Fertigstellung der Speisen für das Abendessen. Es wurden Hühner, Enten und Gänse gerupft, Gemüse gereinigt und geschnitten und die Bratenspieße regelmäßig gewendet, damit das Fleisch saftig blieb und nicht anbrannte. Ein Koch gab hier die Befehle. Er war sehr umsichtig und wusste, was ein jeder zu tun hatte. Wer trödelte bekam von ihm Schelte. Der Prinz setzte sich auf ein Fass und sah eine Weile dem emsigen Treiben zu. Er erinnerte sich daran, wie er in Rodewin die Ameisen beobachtete und sich darüber wunderte, dass jede von ihnen wusste, was ihre Aufgabe war. Den Diener schickte Amalafred zurück.

Inzwischen packte die Sklavin die Reisesäcke der Thüringer aus. Sie verstaute die Sachen in den dafür vorgesehenen Regalen. Die Kleidungsstücke schüttelte sie aus und legte sie ordentlich zusammen. Sie rochen nicht angenehm und hatten den Geruch der letzten Herberge angenommen. Aus einem Weidenkorb entnahm sie kleine Beutel, in denen sich getrocknete Lavendelblüten befanden. Diese legte sie zwischen die Kleidung.

Auf der Terrasse schlief Hartwig und schnarchte leise. Als die Sklavin mit ihrer Arbeit fertig war, ging sie zu ihm und beobachtete den Schlafenden. Sie holte eine Decke, rollte sie zusammen und legte sie unter seinen Kopf. Da niemand in ihrer Nähe war, betrachtete sie den Fremden genau. Ihr gefiel das lange Haar, das wellig zur Seite herabfiel. Langsam kniete sie nieder und strich vorsichtig durch seine goldglänzenden Locken. Ihre Finger berührten Hartwigs Gesicht. Seine Haut war weich und hell. Die Lippen vibrierten vom leisen Schnarchen und sie amüsierte sich darüber.

Die junge Sklavin stammte aus Illyrien. Vor einigen Jahren fielen die Langobardenkrieger auf einem ihrer Kriegszüge in dem kleinen Bergdorf ein und verschleppten die arbeitsfähigen Bewohner in die Sklaverei. Im Palast lebten mehrere aus ihrer Heimat und alle hatten schwarze Haare. Einen Blondschopf wie diesen, der vor ihr auf der Bank lag, hatte sie noch nie gesehen. Der Mann schien, wie ein Wesen aus einer anderen Welt zu sein. Verzückt ließ sie die Strähnen durch ihre Finger gleiten.

„Was machst du da!“, hörte sie eine Stimme hinter sich. Erschrocken sprang sie auf. Der Prinz war unbemerkt zurückgekommen und hatte sie eine Weile beobachtet. Sie wollte davonlaufen.

„Bleib hier, du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“

Amalafred ging auf die junge Frau zu.

Er fasste nach ihrer Hand. Sie zitterte am ganzen Leibe.

„Wovor fürchtest du dich? Hast du etwas Schlimmes getan?“

„Nein, Herr! Ich habe eurem Gefolgsmann nur durch das Haar gestrichen.“

„Willst du meinen Freund verzaubern?“

„Oh nein, Herr, das will ich nicht!“

„Soll ich das glauben?“

„Es ist die Wahrheit, Herr.“

Amalafred blickte ihr tief in die Augen.

„Ich habe dich eine Weile beobachtet und deinen Zauber gespürt“, sagte Amalafred zu der ängstlichen Frau.

„Wieso?“, fragte sie erschrocken und sah ihn mit ihren großen braunen Augen an.

„Ich denke, du hast mein Herz berührt.“

Er griff nach ihrer Hand und zog die Sklavin in den Raum, in dem zwei Liegen standen. Amalafred setzte sich auf eine Marmorbank und deutete ihr mit einer Handbewegung an, sich im Kreis zu drehen.

„Zeig, wie du tanzen kannst!“, sagte er bestimmend.

Die Sklavin konnte seine Wünsche erahnen und drehte sich langsam vor ihm im Kreis.

„Zieh dich langsam aus!“

Am liebsten wäre die Sklavin fortgelaufen, doch sie traute sich nicht. Ihr war befohlen worden, den Wünschen der Gäste in allem nachzukommen. Bei ihrem Tanz ließ sie Stück für Stück ihres Gewandes fallen. Der Prinz genoss den Anblick in vollen Zügen.

Da kam Hartwig in den Raum.

„Was macht ihr da?“, stammelte er schlaftrunken.

Der Prinz erwiderte barsch: „Wie kannst du mich in diesem schönen Moment stören!“

„Ich habe Hunger. Kommst du mit in die Küche.“

Amalafred gab der Sklavin ein Handzeichen, dass sie sich entfernen durfte. Sie sammelte eilig, die am Boden liegenden Kleidungsstücke auf und verschwand.

Hartwig zog Amalafred am Ärmel von der Bank hoch und schob ihn vor sich her zur Tür.

„Weißt du, wo die Küche ist?“, fragte er ihn.

„Sie ist nicht weit von hier. Ich war schon dort!“, entgegnete der Prinz verärgert.

Er ging voran und sie kamen zu dem großen Küchentrakt. Amalafred setzte sich an den kleinen Tisch, der am Eingang stand. Hartwig sah interessiert dem Treiben zu. Es dauerte nicht lange und der Koch kam zu ihnen und fragte im mürrischen Ton, wer sie seien. Als er hörte, dass er den Thüringer Prinz und seinen Gefolgsmann vor sich hatte, wurde sein Gesichtsausdruck schlagartig freundlich. Er schrie etwas Unverständliches in die Küche und zwei Mägde eilten mit allerlei Essbarem herbei. Sie stellten einen Krug Wein auf den Tisch, den die Thüringer höflich ablehnten. Sie stillten ihren Durst mit Brunnenwasser. Hartwig und Amalafred ließen es sich schmecken. Nachdem sie sich gestärkt hatten, gingen sie zu Fuß in die Stadt und besahen sich die Läden der vielen Handwerker. Es war sehr warm. In den Gassen wimmelte es von Menschen. Viele Fremde, die zur Hochzeit angereist waren, nutzten die Gelegenheit zum Einkaufen. Begehrt waren vor allem Schmuck, Waffen und bunte Stoffe. Die meisten Waren wurden in den königseigenen Fertigungsstätten im Lande von Sklaven erzeugt. Viele Handwerker stammten aus Illyrien, wo Wacho, mit Erlaubnis des Oströmischen Kaisers Justinian, jährlich ein- oder zweimal einfiel und Aufstände niederschlug. Als Beute führte er die Rebellen als Sklaven in sein Reich. Viele von ihnen behielt er selbst. Sie waren gute Handwerker und mussten in seinen Werkstätten unter schweren Bedingungen arbeiten. Wenn einer floh, ließ er ihm die Füße verstümmeln damit er nicht mehr davonlaufen konnte.

Viele Händler in der Stadt kauften die Waren in den königlichen Fertigungsstätten auf und verkauften sie zu einem erhöhten Preis auf dem Markt. Daneben gab es auch freie Handwerker, die ihre eigenen Produkte anboten und an den Markttagen oder zu königlichen Festen gute Geschäfte machten.

Amalafred hatte bei einem Silberschmied einen schön ziselierten Armreif erstanden.

„Für wen soll der sein?“, fragte Hartwig neugierig, obwohl er sich denken konnte, wer die Glückliche war.

„Das geht dich nichts an!“, erwiderte Amalafred grinsend.

„Ist er für die schöne Sklavin, die dich mit ihrem Tanz bezirzt hat?“, fragte sein Freund lachend.

Amalafred tat als hätte er die Bemerkung von Hartwig nicht gehört und steckte den Reif schnell in seine Gürteltasche.

Sie gingen auf dem gleichen Weg zurück zur Residenz. Am Eingang zum Hof lief der Diener ungeduldig hin und her.

„Ihr Herren, der König erwartet euch zum Abendessen. Ihr dürft nicht zu spät erscheinen.“

„Es ist noch genügend Zeit“, erwiderte Hartwig gelassen.

„Ihr müsst euch umziehen, verehrte Herren!“

„Und das Gesicht waschen“, ergänzte Amalafred scherzend.

„Oh je, oh je!“, jammerte der Diener und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Er war verantwortlich, dass die beiden Thüringer pünktlich an der königlichen Tafel erschienen.

„Du kannst uns das Bad zeigen und saubere Gewänder bringen. Spute dich!“, erwiderte Hartwig in spaßigem Ton.

Der Diener lief in kleinen Schritten voran. In der Residenz gab es ein eigenes beheiztes Bad, das auch die Beamten und die Dienerschaft nutzen durften. Es stammte von den Römern und die Wände waren mit weißen Marmorplatten verkleidet. Sie waren allein im Bad. Die Thüringer genossen nur kurz das warme Wasser und die Ruhe.

Der Diener kam mit der sauberen Kleidung. Er half ihnen beim Ankleiden und informierte sie über die Gewohnheiten beim Abendessen mit dem König.

„Wir haben schon mit ihm zusammen in Carnuntum gespeist und wissen, was an der Tafel üblich ist“, entgegnete Hartwig lachend.

„Ihr kennt aber nicht die Braut des Königs. Sie ist resolut in ihrer Art und wenn ihr etwas nicht gefällt, verstummen sogar die alten Gefolgsleute des Herrn. Seid vorsichtig mit dem, was ihr sagt! Die junge Herrin ist sehr nachtragend.“

„Es freut mich, dass du um unser Wohl besorgt bist. Glaube mir, dass alles gut verlaufen wird“, beruhigte Amalafred den Diener.

Sie gingen zu dritt zu dem Festsaal, der sich über dem Küchentrakt befand. Die meisten der geladenen Gäste waren bereits erschienen und hatten ihren zugewiesenen Platz eingenommen. Überraschenderweise sah Amalafred viele Frauen, die an der u-förmigen Tafel Platz genommen hatten.

„Wer sind die Frauen“, fragte Hartwig den Diener.

„Das sind die Eheweiber der Gefolgsleute und hohen Beamten. Die zukünftige Königin wünscht es so.“

„Das ist gut. Das Abendessen wird dann nicht mit einem Saufgelage enden.“

Der Diener schwieg zu dieser Bemerkung. Er führte die Thüringer zu ihren Plätzen an der Königstafel. Neidvoll blickten einige Langobarden zu ihnen hin.

Sie missgönnten dem Thüringer Prinz die Nähe zu ihrem Herrn. Bei einigen von ihnen herrschte die Meinung vor, dass die Thüringer als besiegtes Volk kein Anrecht mehr hätten, an einer königlichen Tafel zu sitzen. Sie glaubten, dass eine Bevorzugung der Thüringer am Hof ihres Königs den merowingischen Herrschern, insbesondere Theudebert, stören könnte. Der Nordwesten des Langobardenreichs grenzte an das Frankenreich und durch die angestrebte Heirat der ältesten Tochter von König Wacho mit dem Frankenkönig Theudebert erhofften sie sich höhere Sicherheit. Wie wichtig eine gute Beziehung zu den Franken war, konnten sie im Ostgotenreich beobachten. Im Süden fielen die Oströmer in Italien ein und im Norden die Franken. Die ostgotische Bevölkerung hatte am meisten darunter zu leiden. Kaiser Justinian hatte die Vision, das weströmische Reich neu entstehen zu lassen. Er verwies auf Kaiser Konstantin, der vor 200 Jahren das gesamte Imperium beherrschte. Die Franken bildeten ein Gegengewicht im Machtgefüge. Sie hatten eigene Vorstellungen von der Aufteilung Westeuropas und beanspruchten ihren Anteil. An einem weströmischen Kaiserreich, wie es einst existierte, waren sie nicht interessiert.

Der König wurde angekündigt. Alle Gäste erhoben sich von ihren Plätzen. Wacho erschien mit seiner jungen Braut im Saal. Er führte sie an der Hand und nickte huldvoll den Gästen zu. Nachdem er Platz nahm, durften sich alle wieder setzen. Musikanten spielten auf, es wurde Wein eingeschenkt und Essen aufgetragen. Die Braut beobachtete die beiden Thüringer misstrauisch. Amalafred, der neben ihr saß, machte ihr ein paar Komplimente und sie schien davon sehr angetan. Das Eis war gebrochen und der Herulerin gefiel die gewandte Redensart des Prinzen. Der König mischte sich oft störend in ihre Unterhaltung ein. Hartwig, der neben ihm saß, versuchte ihn durch Fragen abzulenken. Sie betrafen die Kriegszüge und Pferdezucht. Wacho war eitel und erzählte gern von seinen ruhmreichen Siegen und guten Beziehungen zum Kaiser Justinian sowie dem Frankenkönig Theudebert. Begeistert sprach er auch über seine Pferdezucht. In Hartwig hatte er einen aufmerksamen Zuhörer gefunden und die Zeit verging schnell. Als die Braut müde wurde, verließ der König mit ihr die Tafel.

 

Hartwig und Amalafred machten nach dem Essen einen Abendspaziergang und der Diener begleitete sie. Sie kehrten in einem Gasthaus am großen Marktplatz ein und waren überrascht, dass die Schankstube trotz der hohen Preise gut besucht war. Der Diener flüsterte etwas dem Wirt zu und sie bekamen einen Tisch zugewiesen, von dem sie einen guten Überblick über den ganzen Raum hatten. Die meisten Gäste waren Handwerker und Fremde aus verschiedenen Teilen des Langobardenreichs, die am Hochzeitstag ihrem König gratulieren und ihre Geschenke überbringen wollten. Freundliche Mägde brachten Wein und Wasser. Essen wollten die Thüringer nichts mehr, denn das Abendessen an der königlichen Tafel war opulent. Nur der Diener, der nichts abbekommen hatte, ließ sich gern zu einer deftigen Speise einladen.

Angeheitert kehrten sie in ihre Unterkunft in der Residenz zurück. Die Sklavin brachte ihnen einen Krug Wein. Mit jedem Schluck schien der Durst stärker zu werden. Sie dachten nicht daran, dass sie am nächsten Morgen zeitig aufstehen mussten, um den König auf die Jagd zu begleiten. Der Diener ruhte vor der Tür im Gang und war in Sorge um das pünktliche Aufstehen seiner Anbefohlenen. Wie sollte er sie am Morgen munter bekommen, wenn sie bis in die Nacht hinein tranken.

Es war warm in den Räumen. Hartwig nahm seine Holzliege und stellte sie auf die Terrasse. Dort war eine leichte Brise vom See zu spüren. Amalafred, der wegen der Mücken nicht im Freien schlafen wollte, legte sich auf die kühlende Marmorbank im Raum. Gegen Mitternacht wurde er wach und von einem starken Durstgefühl geplagt. Er ging zur Tür und fand im Gang den aufgeschreckten Diener.

„Bring mir etwas zu Trinken. Ich verdurste sonst“, sagte er zu ihm.

Der Diener lief davon. Nach einer Weile kam die Sklavin und brachte kühles Wasser und einen kleinen Krug Wein.

„Schenk mir Wasser ein!“, sagte er zu ihr.

„Wein mit Wasser gemischt, löscht den Durst besser, mein Herr“, sagte sie freundlich.

„Mach es, wie du es für richtig hältst, aber schnell, sonst falle ich tot um.“

Augenblicklich kippte er im Sitzen zur Seite. Die junge Frau lachte und reichte ihm den Becher. Hastig griff er danach und trank ihn in einem Zug aus.

„Du hast mir soeben das Leben gerettet“, sagte der Prinz lächelnd. „Dafür hast du ein Geschenk verdient.“

Neugierig sah ihn die Sklavin an. Amalafred griff in seine Gürteltasche und entnahm den silbernen Armreif.

„Setz dich zu mir!“, befahl er ihr.

Schüchtern nahm sie neben ihm auf der Marmorbank Platz. Er fasste ihre Hand und zog den Armreif darüber.

„Soll der für mich sein?“, fragte sie verwundert.

„Ja!“, entgegnete er lächelnd.

„Ich darf einen kostbaren Reif nicht tragen. Ich bin eine Sklavin.“

„Dann legst du ihn an, wenn es keiner sieht“, entgegnete der Prinz.

Die Sklavin war sich nicht sicher, wie sie sich verhalten sollte. Das Geschenk des Prinzen konnte sie nicht zurückweisen. Er wäre verärgert und die Folgen könnten für sie unangenehm sein. Das mit der Zauberin war noch nicht vergessen. Deshalb entschied sie sich, das Geschenk anzunehmen.

„Lass uns dort weitermachen, wo wir unterbrochen wurden“, flüsterte er ihr zu.

Sie stellte sich vor den sitzenden Amalafred und begann mit dem Tanz. Langsam ließ sie ihr langes Hemd über die Schultern gleiten und kreiste dabei mit ihren Hüften. Es war ein Bauchtanz, wie sie ihn aus ihrer Heimat kannte. Der Mond schien von der Terrasse her in das Zimmer und ließ ihre Haut silbern erscheinen. Amalafred war von ihrer Erscheinung und den anmutigen Bewegungen bezaubert. Er griff nach ihrer Hand und zog sie langsam zu sich auf die Bank. Sie gab ihm nach.

 

Als die Sonne über dem See aufging, wurde Hartwig wach. Er war ein Frühaufsteher. Der Anblick der gleißenden Morgensonne über dem Wasser begeisterte ihn. Er wollte Amalafred wecken, um ihn den schönen Sonnenaufgang zu zeigen. Eilig lief er in den Schlafraum. Der Prinz lag ausgestreckt auf der breiten Marmorbank und die Sklavin neben ihm. Die Sonnenstrahlen hatten die Frau erreicht und ihre Haut in einem hellen Rot erscheinen lassen. Hartwig konnte seine Augen nicht von ihr abwenden. Sie war wunderschön.

Die Sklavin wurde wach und bemerkte, dass seine Blicke auf ihrem Körper ruhten. Sie stand langsam auf, griff nach ihrem Hemd, das auf dem Boden lag und ging auf Hartwig zu. Er rührte sich nicht. Sie fasste seinen Kopf und küsste ihn auf den Mund. Erst jetzt schienen seine Geister zurückzukehren. Sie zog schnell das Hemd über und verschwand geräuschlos durch die Tür. Hartwig schüttelte den Kopf als wollte er ein Trugbild verscheuchen und ging zurück zur Terrasse.

Die Stadt erwachte langsam und vereinzelt konnte er Menschen durch die Straßen eilen sehen. Die Fischer ruderten mit ihren Booten hinaus auf den See, um die Aalreusen und Netze zu kontrollieren. Alles strahlte eine erhabene Ruhe aus. Was war soeben geschehen? Das Bild der Sklavin ging Hartwig nicht mehr aus dem Sinn. Warum hatte sie ihn beim Weggehen geküsst? Was wollte sie von ihm, obwohl sie mit dem Prinzen schlief? Genügte er ihr nicht, oder war sie eine von den männerverschlingenden Weibern, von denen er gehört hatte. Er musste seinen Freund warnen.

Hartwig zog sich an, um an den Strand zu gehen. Als er vor die Tür trat, sah ihn der Diener, der am Boden kauerte, verwundert an.

„Ich dachte nicht, dass ihr so früh wach werdet“, stammelte er schlaftrunken und beeilte sich, auf die Beine zu kommen.

„Ich gehe spazieren! Der Prinz schläft noch tief. Du brauchst ihn erst kurz vor dem Ausritt wecken. Ich werde bis dahin wieder zurück sein.“

„Soll ich euch begleiten, denn schlafen kann ich jetzt nicht mehr. Ich sage der Sklavin Bescheid, dass sie den Prinzen rechtzeitig weckt.“

„Ich gehe lieber allein an den Strand und im Übrigen, würde ich lieber eine andere Sklavin haben.“

Der Diener sah verwundert zu Hartwig.

„Hat sie etwas getan, das euch missfiel?“, wollte der Diener wissen.

„Das nicht, aber ich mag sie nicht“, entgegnete Hartwig kurz.

„Ich werde mich darum kümmern. Wenn ihr zurückkommt, werdet ihr sie nicht mehr sehen“, versprach der Diener.

Hartwig lief an den Strand und sah auf den in der Sonne glitzernden Wasserspiegel. Die Fischer kamen mit ihren Booten zurück und brachten den Fang zur königlichen Küche. Ein alter Mann zog kräftig an einer Leine, die im Wasser lag. An ihrem Ende war ein Stierschädel angebunden. Hartwig half ihm, den stinkenden Schädel aus dem flachen Wasser an den Strand zu ziehen. Aus allen Löchern quollen unzählige Aale. Der alte Mann sammelte sie ein und packte sie in einen Ledersack. Er bot Hartwig einen besonders großen Aal für seine Hilfe an, doch der lehnte höflich ab.

Die meisten Fische, die gefangen wurden, waren Zander und Karpfen. Es gab aber auch Welse, Hechte und andere Fischarten, die Hartwig nicht kannte.

Am sandigen Ufer hatten Kinder der Fischer ein Feuer gemacht und hielten auf Holzstäbe aufgespießten Fische darüber. Sie reichten Hartwig einen der Holzspieße. Er setzte sich zu den Kindern und sie fragten ihn, woher er kam. Der Thüringer erzählte ihnen Geschichten aus seiner Heimat, einem Land, von dem sie noch nie etwas gehört hatten. Wehmütig berichtete er von dem Untergang des Thüringer Königreiches und dem Kampf der Rebellen gegen die fränkischen Eroberer. Seine Gedanken wanderten in den Elbkniegau, zu seiner Familie. Wie wird es ihnen ergehen? Sind sie alle gesund? Wann wird er sie wiedersehen?

Hartwig ging langsam zurück zur Residenz. Die Sonne stieg am Horizont aus dem See. Die gleißenden Strahlen versprachen einen ähnlich heißen Tag, wie gestern.

Der Diener war froh, dass er da war und ihm half, den Prinzen zu wecken. Auf dem Tisch standen Krüge mit Wasser und Wein. Hartwig roch daran und schenkte sich Wasser ein. Obwohl er gestern einen starken Rausch vom übermäßigen Genuss des köstlichen Rebensaftes hatte, blieben die Kopfschmerzen aus. Woran es lag, konnte er sich nicht erklären.

Missmutig kam Amalafred auf die Terrasse und setzte sich neben Hartwig auf die Bank.

„Der Diener spinnt wohl, mich so früh zu wecken. Hast du ihm gesagt, dass er das darf?“

„Er hat Angst, dass der König im Sattel sitzt und du noch schläfst.“

„Das würde mich nicht stören“, erwiderte Amalafred missgelaunt und ging zur Tür. Er öffnete sie geräuschvoll und brüllte den Diener an: „Wo ist das Wasser für die Morgenwäsche?“

Nach einer Weile kam eine alte Sklavin mit einem Wassereimer und zwei Tüchern zum Abtrocknen.

„Wo ist die andere, die gestern hier war?“, wollte der Prinz von ihr wissen.

„Die kann nicht mehr kommen. Sie ist krank.“

„Gestern Abend habe ich nichts davon bemerkt“, erwiderte Amalafred mürrisch.

„Es ist leider so, mein Herr!“, sagte die Sklavin und ging aus dem Raum.

„Wenn ich nicht ausgeschlafen bin, geht alles schief. Jetzt haben sie uns diese Alte gegeben. Sie ist fett, dass sie kaum gehen kann“, rief er Hartwig wütend zu.

Der saß auf der Terrasse und blickte über die Stadt.

Als der Prinz fertig angezogen war, gingen sie zur Küche. Es war ihnen lieber dort zu frühstücken als sich das Frühstück auf das Zimmer bringen zu lassen. Der Betrieb war bereits in vollem Gange. Sie setzten sich an den gleichen Tisch, wie am Vortag. Zwei Mägde brachten Frühstücksbrei, mit Honig und Früchten. Dazu gab es frische Milch.

„Igitt! Wie kann man warme Milch am frühen Morgen trinken?“, jammerte Amalafred vor sich hin.

„Du bekommst bestimmt frisches Wasser, wenn du danach fragst“, erwiderte Hartwig ruhig.

Er winkte nach einer der Mägde und verlangte einen Krug Brunnenwasser. Mürrisch saß der Prinz auf seinem Schemel und schwieg. Hartwig störte es nicht. Er kannte seinen Freund zur Genüge und nichts hasste der mehr als früh aufzustehen.

 

Nach dem Essen gingen sie auf den Hof, zu den Pferdeställen. Bis zum Ausritt blieb noch etwas Zeit. Die übrigen Jagdbegleiter warteten ebenfalls auf die Ankunft des Königs. Amalafred setzte sich auf einen Strohballen, der an der Wand lag und drückte die Augen zu. Er fand, dass er viel zu müde war, um auszureiten.

Hartwig betrachtete die Gebäude, die den Hof einsäumten. Er kam bei den Unterkünften der Sklaven vorbei und sah durch die offenen Türen in die Räume. Plötzlich entdeckte er die junge Sklavin, die ihm einen Kuss gegeben hatte. Sie lag ausgestreckt bäuchlings auf einer Holzbank. Rote Striemen bedeckten ihren Rücken. Ihre Augen waren weit geöffnet und blickten ihn traurig an. Er wollte zu ihr gehen, doch ein Wachmann hielt ihn zurück.

„Was willst du hier?“, fragte er unwirsch.

„Ich wollte nach der Sklavin sehen“, erklärte ihm Hartwig.

„Das darfst du nicht.“

„Was ist mit ihr? Warum hat sie rote Striemen auf dem Rücken?“, fragte der Thüringer.

„Wenn eine Sklavin ihre Arbeit nicht gut macht, erhält sie zehn Streiche mit der Weidenrute.“

„Was passiert danach mit ihr?“

„Sie wird auf ein Gut des Königs zur Feldarbeit geschickt. Das ist die eigentliche Strafe für sie.“

Nachdenklich ging Hartwig zu den Pferdeställen zurück. Amalafred war inzwischen auf dem Strohballen eingeschlafen und schnarchte leise vor sich hin. Hartwig machte sich Vorwürfe. Es war seine Schuld, dass die Sklavin leiden musste und das betrübte ihn. Was konnte er für sie tun? Vielleicht war sie kein männerverschlingendes Weib und er hatte ihr durch seine dumme Verdächtigung Unrecht getan. Mit Amalafred wollte er darüber reden, doch der schlief tief.

Ein Diener kam eilig zu den Wartenden gelaufen und kündete das baldige Erscheinen des Königs an. Die Gurte der Sättel wurden nachgezogen und die Reiter saßen auf. Im Halbrund warteten alle Jagdbegleiter auf dem Hof. Wacho stieg die Stufen hinab und zwei Diener halfen ihm auf sein Pferd. Kaum, dass er im Sattel saß, preschte er über den Hof, zum Tor hinaus. Die Jagdgesellen folgten ihm. Sie ritten entlang des Parks der Residenz in den nahen Buchenwald. Auf einer Höhe, fern der Stadt, machten sie Halt. Dort wurden sie von den königlichen Jagdgehilfen erwartet. Hundeführer mit ihrer kläffenden Meute und zahlreiche Männer, die das Wild zusammentreiben sollten, standen dort. Der König wollte ein Wildschwein erlegen und sein Jagdaufseher hatte alles vorbereitet. Sie ritten durch das Unterholz und kamen zu einem sumpfigen Fleck, der mit hohem Gras bewachsen war. Wacho entdeckte eine frische Fährte.

„Lasst die Hunde los!“, rief er freudig aus und folgte der Meute. Es ging die Hügel hinauf und hinab, durch das Dickicht und über Waldwiesen. Endlich schien die Meute das Tier gestellt zu haben, denn das Kläffen war nur an einer Stelle zu vernehmen. Sie kamen näher. Die Hunde umkreisten einen stattlichen Eber, der mit seinen Hauern wild nach den aufdringlichen Peinigern schlug. Es gelang ihm auszubrechen und der König verfolgte ihn. Kampfesmutig trieb er seinen Hengst voran. In der Rechten hielt er einen kurzen Speer und schleuderte ihn mit voller Wucht ab. Er traf den Eber in die Brust und das Tier sank nach wenigen Schritten auf den sandigen Boden. Ein Jagdgehilfe gab ihm den Todesstoß. Wacho sprang vom Pferd und besah sich das Wildschwein. Zufrieden winkte er den anderen zu. Sie sollten seine Jagdbeute bestaunen. Alle gratulierten dem König. Der Eber wurde ausgeweidet und an eine Stange gehängt. Vier Jagdgehilfen trugen ihn auf den Schultern zu dem Sammelplatz. Dort hatten Sklaven Zelte aufgestellt und ein zweites Frühstück vorbereitet.

Wacho ließ sich feiern. Hartwig und Amalafred durften neben ihm sitzen und sie sparten nicht mit Lob für sein mutiges Vorgehen und die treffsichere Hand. Das gefiel dem alten König.

„Habt ihr in Thüringen auch stattliches Wild?“, wollte Wacho von Amalafred wissen.

„Bevor die Franken kamen, gab es viel, doch wie es jetzt aussieht, kann ich nicht sagen“, entgegnete der Prinz.

„Ja, mit den Franken hat man nur Ärger. Meine älteste Tochter ist seit langem mit dem Frankenkönig Theudebert verlobt und ich hoffe, dass er sie nun bald zur Frau nimmt. Deshalb will ich nach der Hochzeit eine Gesandtschaft zu ihm entsenden, die die Vermählung einfordert.“

„Ist Theudebert nicht schon verheiratet?“, fragte Amalafred.

„Die Ehe mit der Galloromanin Deuteria ist ungültig, da das Weib noch mit einem anderen Mann verheiratet ist. Deshalb ist es wichtig, dass bald etwas passiert und Theudebert sich endlich entscheidet“, erklärte der König.

„Ich will mit den Franken nichts mehr zu tun haben. Sie sind wortbrüchig, verschlagen und gierig. Meinen Vater haben sie nach Zülpich zu Verhandlungen gelockt und heimtückisch umgebracht. Das ist kein Volk, dem man vertrauen kann“, erklärte Amalafred.

Der König winkte ab.

„Gerade deshalb ist es wichtig, dass man sich mit ihnen verbündet. Auch die Huld des Kaisers ist wechselhaft. Solange er mir wohlgesonnen ist, habe ich einen starken Verbündeten, doch was ist, wenn er den Gepiden den Vorzug gibt. Sie sind ein germanischer Stamm und genauso stark wie wir.“

Amalafred nickt ihm verständnisvoll zu.

Wacho langte kräftig nach den angebotenen Speisen als hätte er tagelang nichts gegessen. Der Wein machte ihn redselig und er sprach über seine innere Verstimmung gegenüber dem Kaiser Justinian.

„Du bist noch jung Amalafred, deshalb will ich dir etwas Wichtiges sagen. Traue keinem Herrscher auf der Welt und besonders nicht dem Kaiser. Diese hohen Herren haben zu viel Macht und sie ziehen die schlechten Berater an, wie das Aas die Fliegen. Deshalb sind ihre Entscheidungen nicht von Wohlwollen geprägt und gar nicht zu einem, wie mir. Für den Kaiser bin ich nichts. Das erkennst du daran, dass er nicht auf meine Einladung zu meiner Hochzeit reagiert hat.“

„Es wird bestimmt noch ein hoher Beamter vom Kaiserhof anreisen“, beschwichtigte Amalafred den aufgebrachten Langobardenkönig.

„Das wäre nur einer von den besagten Schmeißfliegen. Auf die kann ich verzichten“, zischte Wacho mit hochrotem Kopf.

Amalafred versuchte den König zu beruhigen, doch er fing an, auf die Franken zu schimpfen.

„Die Merowinger sind nicht besser als der Kaiser. Sie haben auch nicht auf meine Einladung reagiert. Selbst Theudebert, mein zukünftiger Schwiegersohn meldete sich nicht. Seine Wertschätzung mir gegenüber hält sich in Grenzen. Vielleicht glaubt er, schon jetzt der zukünftige Kaiser von Westrom zu sein.“

Der König hatte sich beruhigt, nachdem ihm Hartwig eine Frage zu seinem Hengst stellte. Über dieses prächtige Tier konnte Wacho stundenlang sprechen. Zufrieden griff er nach einer Entenkeule und biss kräftig hinein.

„Dein Hengst scheint auch von einer guten Linie abzustammen“, sagte Wacho zu Hartwig.

„Er ist eine Kreuzung zwischen einer weißen thüringer Stute und einem weißen Hengst aus der Camargue im Südfrankenreich. Ich bin sehr zufrieden mit ihm“, entgegnet der Thüringer stolz.

„Du sagtest mir, dass du in deiner Heimat mit der Pferdezucht beginnen möchtest. Ich schenke dir einen meiner prächtigen Deckhengste. Mein Jagdknecht reitet ihn. Geh zu ihm und lass ihn dir vorführen.“

Hartwig verließ die Runde und suchte den Knecht.

Der König forderte inzwischen Amalafred zum Trinken auf und leerte seinen Weinbecher in einem Zuge.

„Amalafred, ich möchte dich um etwas bitten“, begann Wacho zögerlich.

„Worum geht es, sprich nur frei heraus!“

„Dein Freund Hartwig war lange im Frankenreich und kennt sich dort gut aus. Könntest du ihn meiner Gesandtschaft mitgeben, damit er ihnen den Weg zu Theudebert zeigt?“

Amalafred passte das nicht. Er erklärte Wacho, dass Hartwig im Auftrag der Thüringer Königin in Vindobona bleiben sollte, bis ihr Gefolge nach Italien weiterreisen würde.

„Hartwig wird bestimmt früher aus dem Frankenreich zurück sein, bevor deine Krieger ins Ostgotenreich ziehen dürfen“, entgegnete Wacho.

Der Prinz überlegte, wie er den Wunsch des Königs seinem Freund erklären konnte. Er wusste, dass Hartwig gern nach Hause zurückkehren würde und im Gegenzug könnte er ihn aus seiner Gefolgschaft entlassen. Damit dürfte er einverstanden sein.

„Gut, dann soll er deine Gesandtschaft zu Theudebert führen, doch den Heimweg müssen sie allein finden.“

„Das geht in Ordnung. Sprichst du mit deinem Freund?“

Amalafred nickte.

Der Langobardenkönig war sehr zufrieden mit sich und der Welt. Er hatte einen großen Eber erlegt und einen wegekundigen Führer für seine Gesandtschaft in das Frankenreich gefunden.

„Ich reite mit meinen Gästen zu den Thermen. Bring das Wild in die Küche“, sagte er zu dem Jagdaufseher und galoppierte mit Amalafred, Hartwig und seiner Leibgarde davon.

Der Weg führte durch eine liebliche Auenlandschaft. Von einem Hügel aus konnten sie im Tal die weißen Bauten des römischen Bades sehen. Als sie näherkamen, bestaunte Hartwig die prächtige Anlage. Die Römer hatten mit Marmorplatten verkleidete Gebäude errichtet. Nachdem sie das Land verließen, verfiel die Thermenanlage und Wacho baute sie im ursprünglichen Stil wieder auf. Der Teich, mit dem heilenden Wasser lag inmitten der Anlage und große Rasenflächen mit Blumenbeeten umkränzten ihn. Sklaven verrichteten still ihre Arbeit und es war nur das Singen der Vögel und Plätschern des Wassers zu hören. Voller Stolz zeigte Wacho den Thüringern die Gebäude mit den Pfaden zum Spazierengehen. Nach dem Rundgang nahmen sie ein Bad und setzten sich auf die Steinbänke im Wasser. Sklaven brachten ihnen kühle Getränke und süßes Gebäck. Sie wedelten mit breiten Fächern frische Luft in ihre Gesichter.

„Das ist mein Lieblingsplatz“, bemerkte Wacho und blickte stolz auf die Thüringer.

„Ein schöneres Bad habe ich noch nie gesehen“, erklärte Amalafred bewundernd.

„Das glaube ich. Selbst der Kaiser in Byzanz würde mich darum beneiden.“

Der Geruch des nach Schwefel riechenden Wassers störte Hartwig nicht. Er hörte Wacho zu, der von der Heilkraft der heißen Quelle erzählte. Er war der Ansicht, dass er durch die Bäder sein starkes Reißen in den Schultern wegbekam.

„Ist die Anlage nur für die Königsfamilie bestimmt?“, wollte Hartwig wissen.

„Dieser Teil ist es. Die andere Seite des Teiches habe ich für meine Krieger und Beamten sowie deren Familien frei gegeben. Sie sollen sich hier erholen können.“

Wie ein großer Gönner spielte sich der Langobardenkönig auf und erwartete von seinen Gästen großes Lob. Amalafred fand die passenden Worte am Rande der Lobhudelei.

Am Eingang waren Stimmen zu hören.

Ein Meldereiter kam zum König und gab ihm ein Schreiben vom kaiserlichen Hof. Wacho überflog das Pergament und ließ es von seinem Schreiber, der am Teichrand stand, laut vorlesen. Der Kaiser erklärte sein Bedauern, dass er zu der Hochzeit nicht selbst kommen könnte, da ihn wichtige Aufgaben davon abhielten und wünschte dem Brautpaar alles Gute. Zum Schluss gab er seinen kaiserlichen Segen.

Der Langobardenkönig war verärgert über die Absage. Er hatte gehofft, dass zumindest ein Vertreter vom kaiserlichen Hof zur Hochzeit erscheinen würde. Als er sich beruhigt hatte, erklärte er den Thüringern sein Verhältnis zum Kaiser Justinian und zu dessen Religion. Da Wacho keinen festen Glauben hatte und sich weder an die germanischen Gottheiten noch an die Arianer oder Katholiken gebunden fühlte, prahlte er mit dem Freigeist, über den er verfügte.

„Meine Krieger kommen aus verschiedenen Stämmen. Viele von ihnen glauben an Götter, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Soll ich sie zu einer bestimmten Religion zwingen? Nein, niemals! Ich denke, dass jeder das mit sich selbst ausmachen muss, woran er glaubt. Wichtig ist, dass sie mir treu dienen und gut kämpfen.“

Amalafred nickte zustimmend. Er war der gleichen Meinung und konnte nicht verstehen, dass die Katholiken und Arianer, die an den gleichen Gott glaubten, sich bis aufs Blut bekriegten.

„Kennst du den Unterschied zwischen den beiden Glaubensrichtungen?“, fragte Amalafred den König.

„Ich habe ihn mir einmal erklären lassen, doch verstanden habe ich die Streithälse bis heute nicht. Die Katholiken meinen, dass Gott, Jesus und der heilige Geist in einer Person vereint sind und die Arianer sehen sie getrennt. Wir Langobarden sind mehrheitlich Arianer und Gott ist der Größte.“

„Wer ist dann Jesus?“

„Das ist sein Sohn! Jeder Sohn hat einen Vater und der steht über ihm. Bei den Germanen ist es ähnlich. Buri ist der Stammvater der germanischen Götter. Sein Sohn war Bör und dessen Sohn Odin. Odin hat die Menschen erschaffen und deshalb ist er bei ihnen Gottvater. Es ist alles ein bisschen kompliziert. Wir wollen nicht weiter darüber sprechen und das Heilwasser in Ruhe genießen.“

Nach dem Bad im Thermalteich säuberten sie sich in einem beheizten Warmwasserbecken. Sie ließen sich von Sklaven mit Duftölen einreiben, um den starken Schwefelgeruch loszuwerden.

Bei der Massage schlief Amalafred ein. Alle konnten sein Schnarchen vernehmen. Es schien anzustecken und bald grunzte auch Wacho, wie eine Wildsau. Keiner störte die Schlafenden. Hartwig war von seiner Bank aufgestanden und ging in der Parkanlage spazieren. Zahme Eichhörnchen bettelten um Nüsse und Singvögel flogen in seine Nähe. Sie schienen keine schlechten Erfahrungen mit Menschen gemacht zu haben und wurden wahrscheinlich regelmäßig von den Sklaven gefüttert. Zufrieden ging Hartwig zurück in den Baderaum. Wacho und Amalafred waren aufgewacht und saßen auf den Marmorbänken. Als Hartwig zu ihnen kam, unterbrachen sie ihre Unterhaltung und der König schlug vor, in die Residenz zurück zu reiten.

„Heute Abend sehe ich euch an meiner Tafel. Die Unterhaltung am gestrigen Abend hat meiner Braut gut gefallen. Heute Morgen fragte sie mich, ob der Prinz wieder dabei sein wird. Ich hoffe, ich muss nicht eifersüchtig auf dich sein.“

„Oh nein!“, erwiderte Amalafred heftig.

„Soll es heißen, dass dir meine Braut nicht gefällt?“, fuhr er den Prinzen heftig an.

„Das habe ich nicht gemeint. Ich finde, sie ist sehr hübsch und intelligent und man kann sich über viele Dinge mit ihr unterhalten.“

„Das denke ich auch. Ich sehe, wir beide haben den gleichen, guten Geschmack. Nun lasst uns losreiten!“, forderte er die Thüringer auf.

 

In der Residenz wurden sie von Audoin, dem Heerführer und Fürst der Langobarden, erwartet. Er war der engste Vertraute des Königs. Wacho klopfte ihm auf die Schulter.

„Wir beide müssen gleich miteinander reden. Folge mir in mein Schreibzimmer.“

Dem Fürsten der Langobarden blieb keine Zeit mit seinen Thüringer Freunden zu sprechen. Gern hätte er erfahren, wie es Amalafreds Schwester in Ravenna ging. Sie war schwanger von ihm. In Carnuntum hatten sie sich heimlich arianisch trauen lassen. Niemand durfte von diesem Geheimnis wissen. Nur ein kleiner Kreis von Vertrauten war eingeweiht. Zu ihnen gehörte Amalafred und Hartwig.

Die Thüringer wollten sich die Zeit bis zum gemeinsamen Abendessen vertreiben und zogen durch die Innenstadt. Sie war übervoll mit Menschen. In den Gasthäusern gab es keinen freien Platz. Amalafred entschied zurück zum Palast zu gehen. Auf ihrer Terrasse ließen sie sich Wein und Wasser bringen. Hartwig erinnerte sich an die hübsche Sklavin, der er Unrecht getan hatte. Es wäre jetzt die Gelegenheit mit Amalafred darüber zu sprechen. Sein Freund kam ihm zuvor. Ihn schien etwas zu bedrücken.

„Ich muss unbedingt mit dir reden“, sagte Amalafred zögernd.

„Hast du etwas angestellt?“

„Wacho hat mich um einen Dienst gebeten, den ich ihm nicht abschlagen konnte.“

„Was ist es? Sprich frei heraus!“

„Du wirst seine Gesandten ins Frankenreich begleitest. Sie sollen Theudebert aufsuchen und die Hochzeit seiner Tochter vorbereiten. Ich habe ihm zugesagt, dass du es tust, ohne dich vorher zu fragen.“

„Wie soll ich gleichzeitig in Vindobona und im Frankenreich sein?“, entgegnete Hartwig überrascht.

„Ich werde gleich einen Boten zu meiner Mutter senden und ihr die Situation erklären. Wir müssen für dich einen anderen Anführer für unsere Krieger in Vindobona finden.“

„Das wird nicht leicht sein, oder hast du schon einen im Auge?“, wollte Hartwig wissen.

„Ich kenne niemand, der dein Amt übernehmen könnte. Deinem Bruder Siegbert würde ich es zutrauen, doch der wird schon auf dem Weg zu den Rebellen nach Thüringen sein.“

„Wie steht es mit dir. Ich hatte den Eindruck, dass es dir in Ravenna bei deiner Mutter nicht gefällt. Mit meinem Weggang hättest du einen Grund als Befehlshaber unserer Krieger in Vindobona zu bleiben. Mich gibst du frei und ich kehre nach der Erledigung des Auftrags zu meiner Familie zurück“, schlug Hartwig vor.

„Daran habe ich auch gedacht, aber meine Mutter wird damit bestimmt nicht einverstanden sein. Sie glaubt, dass ich in Italien sicherer vor den Franken bin.“

„Schreib ihr einen Brief und informiere sie über die neue Situation. Damit gewinnst du Zeit und bleibst bis zu einer Entscheidung von ihr an der Donau.“

Amalafred fand diesen Vorschlag gut und setzte gemeinsam mit Hartwig ein Schreiben an die Königin Amalaberga auf. Er schrieb ihr auch, dass er Hartwig von seiner Pflicht als Gefolgsmann entbunden habe und sein Freund nach der Reise ins Frankenreich zu seiner Familie in Thüringen zurückkehren kann.

Der Diener klopfte an die Tür. Er drängte die beiden Thüringer zur Eile, denn sie mussten sich noch umziehen. Amalafred beauftragte einen Krieger seiner Leibwache, den Brief der Königin zu überbringen.

 

Zufrieden machten sie sich auf den Weg in den Festsaal. Diesmal war die ganze Königsfamilie erschienen, auch die beiden Töchter von König Wacho. Audoin hatte den Platz neben Wacho eingenommen und Hartwig musste zwischen den beiden Prinzessinnen sitzen. Die älteste Tochter fragte ihn über das Frankenreich aus. Er erzählte ihr, wie die Menschen dort lebten. Sie wollte auch etwas über Theudebert erfahren, was für ein Mensch er war und warum er ihre Hochzeit lange hinauszog. Hartwig gab bezüglich der Heirat eine ausweichende Antwort und beschrieb in groben Zügen die Klugheit und den Scharfsinn des Frankenkönigs. Beide Töchter waren von der Erzählung sehr angetan und ließen Hartwig keine Zeit zum Essen.

Ein Beamter informierte zum Schluss die Anwesenden über den Ablauf der Hochzeitszeremonie für den nächsten Tag. Am frühen Morgen soll die Trauung stattfinden und danach würde der König mit seiner Braut durch die Straßen der Stadt zum Festplatz in der Nähe der Residenz reiten. Nach dem Essen war der große Empfang auf der Festwiese vorgesehen, bei dem der König die Huldigungen und Geschenke der Stämme seines Reiches und der zahlreichen Gäste entgegennehmen würde. Der Abend soll mit einem Festessen und allerlei Belustigungen enden. Nach dieser Bekanntgabe verließ der König mit seiner Familie die Tafel.

Erst jetzt konnte Audoin seine Thüringer Freunde begrüßen.

„Wie geht es Rodalinde?“, war seine erste Frage.

„Es geht ihr gut“, beruhigte ihn Amalafred.

„Kommt, lasst uns zu mir gehen! Bei einem Glas Wein müsst ihr mir alles berichten!“, schlägt Audoin vor.

 

Amalafred und Hartwig folgten dem Fürst. Die Zimmer, die er bewohnte, waren ähnlich ausgestattet, wie die der Thüringer. Ein Diener brachte Wein, Wasser und getrocknete Früchte. Sie prosteten sich zu.

„Ihr müsst mir alles von eurer Fahrt nach Ravenna erzählen. Ich bin schon sehr gespannt. Wie seid ihr von den Ostgoten aufgenommen worden?“, wollte Audoin wissen.

Hartwig berichtete von der Reise, ab der langobardischen Grenze. Immer wieder wurde er von Audoin unterbrochen, der jede Einzelheit über seine geliebte Rodalinde, Amalafreds Schwester, erfahren wollte.

„Die Königsfamilie lebt in Ravenna in einer großen Villa mit einem ausgedehnten Park. Die Prinzessin wäre gern mit uns zur Hochzeit deines Königs gereist, doch ihre Mutter erlaubte es nicht.“

Finster sah Audoin den Prinzen an.

„Konntet ihr die Königin nicht dazu überreden?“

„Du kennst sie! Niemand bringt sie von ihrer Meinung ab. Vielleicht ist es gut, denn die Straßen sind holprig und das könnte womöglich eurem Kind schaden“, entgegnete Amalafred.

„Spürt sie es schon?“, wollte Audoin wissen.

„Das ist noch zu früh“, entgegnete Hartwig und amüsierte sich innerlich über Audoins Ungeduld.

Im Detail berichtete Hartwig vom Leben der Königsfamilie in Ravenna. Amalafred probierte von den Köstlichkeiten, die auf dem Tisch standen. Auch er kam wegen der Unterhaltung der Braut nicht zum Essen. Nachdem der Prinz satt war, musste er noch einmal über alles berichten. Audoin konnte nicht genug über seine geliebte Rodalinde erfahren und Hartwig erkannte, dass ihm die Trennung sehr schwerfiel. Es musste ihm ähnlich ergehen, wie er es am eigenen Leib einst erfahren hatte.

Damals bei seiner Hochzeit in Rodewin musste er als Geisel zusammen mit Prinz Baldur ins Frankenreich reisen und seine junge Frau zurücklassen. Danach folgten die Gefangennahme und Versklavung. Die Trennung von der Frau und den Kindern hatte er nur schwer ertragen können. Mit dem Auszug der Thüringer, in Richtung Ravenna, musste er abermals längere Zeit seine Familie verlassen, doch hatte er Gewissheit, bald nach Hause zurückkehren zu können.

Für Audoin war die Situation viel komplizierter. Ob er seine geliebte Rodalinde, je wiedersehen würde, war ungewiss. Sie war eine Prinzessin und er ein unbedeutender Fürst in einem kleinen Königreich. Die Thüringer Königin hatte große Pläne mit ihrer Tochter vor und hoffte, dass sie eines Tages standesgemäß einen König heiraten würde. Einen Trumpf, den die Königin noch nicht kannte, hatte Audoin noch. Es war das Kind, das Rodalinde von ihm erwartete und die heimlich vollzogene christliche Eheschließung.

Der Wein zeigte seine Wirkung. Die drei Freunde schliefen bald auf den römischen Liegen ein. Der Lärm auf den Straßen weckte Hartwig auf. Die beiden anderen waren noch im Reich der Träume. Die Sonne erhellte langsam den Himmel über dem See, doch sie zeigte sich nicht. Hartwig setzte sich auf die Terrasse und wartete den Augenblick des Sonnenaufgangs ab. Dies war der Moment, den er besonders genoss. Als Frühaufsteher hatte er das Gefühl, den anderen zeitlich voraus zu sein. In der Stadt wurde überall fleißig geputzt und die Häuserfassaden geschmückt. Wenn der König mit seiner jungen Frau die Straße zur Kirche entlang ritt, sollte er sich an dem Blumenmeer erfreuen können.

Beim Blick auf die Straßen fiel Hartwig die Sklavin ein, die gestern ausgepeitscht wurde. Sein schlechtes Gewissen drängte ihn, nach ihr zu sehen. Leise verließ er den Raum und lief durch die leeren Gänge zum Hof. Dort spähte er durch die Fensteröffnungen der Sklavenunterkünfte. Er konnte die Frau nicht entdecken. Zufällig sah er den Wächter vom Vortag, an die Hauswand gelehnt, stehen. Er schien vor sich hin zu dösen und war nicht erfreut als Hartwig ihn ansprach.

„Wo ist die Sklavin, die gestern ausgepeitscht wurde?“

„Wir haben sie zum Königsgut im Norden der Stadt gebracht“, entgegnete der Mann unwirsch.

„Ihre Wunden waren noch nicht verheilt?“

„Das macht nichts, sie kann sich auf den Feldern auskurieren.“

Hartwig ging zu den Pferdeställen und strich seinem Hengst über die Nüstern. Immer wieder musste er an die Frau denken und dass sie durch seine Schuld litt. Die Pferdeknechte waren mit der Pflege der Tiere beschäftigt. Am Hochzeitstag musste zum Umzug alles glänzen. Hartwig interessierte es nicht. Er ging missgelaunt in seine Unterkunft zurück. Amalafred war noch in Audoins Räumen, die am anderen Ende des Gangs lagen. Seine Gedanken flogen zu Elke. Bald würde er frei sein und zu ihr zurückkehren. Er sehnte sich nach einem ruhigen, geordneten Familienleben. Vielleicht war es das Alter, das dieses Gefühl in ihm aufkommen ließ.

Die Tür ging auf und Prinz Amalafred trat schlaftrunken in den Raum.

„Ich habe Hunger, lass uns frühstücken“, rief er Hartwig zu.

Sie gingen zur Küche. Die Küchenmägde brachten ihnen unaufgefordert Schalen mit Brei und darauf gestreuten Rosinen. Gierig langte Amalafred mit seinem Löffel hinein als hätte er tagelang nichts zu essen bekommen.

„Iss nicht so hastig!“, warnte ihn Hartwig. „Dir wird schlecht und beim Festmahl kannst du nichts mehr zu dir nehmen.“

„Das ist mir gleich. Wenn mich Wacho wieder neben seine Braut setzt, komme ich ohnehin nicht zum Essen.“

Hartwig amüsierte sich.

„Gestern ging es mir ebenso. Die älteste Tochter des Königs hatte mir eine Frage nach der anderen gestellt. Sie hatte nicht bemerkt, dass ich hungrig war. Nur gut, dass Audoin Nüsse und getrocknete Früchte in seinem Zimmer hatte. Wo ist er jetzt? Ist er mit dir aufgestanden?“

„Als ich wach wurde, war er nicht mehr im Raum. Vielleicht ist er zum König gegangen“, meinte Amalafred und aß hastig weiter.

„Wacho wird heute bestimmt nicht ans Regieren denken, wo er Hochzeit hat“, entgegnete Hartwig.

„Es ist seine dritte Braut und da wird es Routine“, bemerkte der Prinz schmunzelnd.

„Glaubst du, dass er mit der jungen Frau mithalten kann?“

„In seinem Alter sollte man es etwas ruhiger angehen“, meinte Amalafred.

„Ihm ist nur der Stammhalter wichtig und den wird sie ihm schenken.“

„Was ist, wenn es wieder ein Mädchen wird?“

„Dann musst du ihn als sein Verwandter fragen, ob du einmal aushelfen sollst. Verstehen tust du dich gut mit ihr, so angeregt wie ihr euch unterhalten habt“, erwiderte Hartwig lachend.

„Rede nicht weiter! In meinem Bett möchte ich sie nicht haben, dazu ist sie mir viel zu bestimmend und eitel.“

„Ich dachte, du magst solche Frauen.“

„Wie kommst du darauf? Du weißt doch, worauf ich stehe!“

Hartwig sprach nicht weiter. Er musste wieder an die Sklavin denken und das betrübte ihn.

„Was ist mit dir?“, wollte Amalafred wissen, dem der Stimmungswechsel seines Freundes auffiel.

„Bist du mit deinen Gedanken bei deiner Familie?“

Hartwig nickte und blieb stumm. Amalafred ließ ihn in Ruhe. Der Diener kam in die Küche und suchte nach ihnen. Er berichtete, dass bald die Trauung in der Kirche stattfinden würde und sie sich dort rechtzeitig einfinden sollten. Je gelassener die Thüringer reagierten, umso nervöser wurde er. Irgendwann gaben sie es auf, ihn zu ärgern und folgten ihm in ihr Quartier. Sie zogen sich ein Feiertagsgewand an und gingen in die Kirche. Die war schon übervoll. Viele Menschen standen auf dem Kirchplatz und hofften, einen Platz im Inneren zu bekommen. Durch eine bewachte Seitentür brachte der Diener die Thüringer zu ihrem reservierten Stehplatz. Hartwig sah sich um. Der Kirchenraum musste einmal ein römischer Tempel gewesen sein. Hohe Steinsäulen beidseits des breiten Mittelgangs trugen das weit ausladende Dach. Die Menschen standen bis zu den Säulen, wie Fische in einem Fass aneinandergereiht. Der Mittelgang blieb frei. Es dauerte lange, bis das Brautpaar angekündigt wurde. Endlich erschien der König im Hauptportal und schritt ruhig zum Altar. Nach ihm kam die Braut, die von ihrem Vater geführt wurde. Am Altar übergab er seine Tochter dem Bräutigam und der arianische Priester nahm die Hochzeitszeremonie vor. Während der ganzen Zeit sangen Kinder im Hintergrund christliche Lieder. Es war so laut, dass Hartwig nichts von dem verstehen konnte, was der Priester sagte. Zum Glück dauerte diese Prozedur nicht allzu lange, denn das Stehen war für die meisten Gäste beschwerlich.

Der König ging nach der Zeremonie gemeinsam mit der jungen Königin durch das Kirchentor auf den Vorplatz. Dort stiegen sie in einen offenen römischen Reisewagen, der von vier Pferden gezogen wurde. Huldvoll winkte das Paar den Menschen zu, die dichtgedrängt am Wegesrand standen und ihnen begeistert zuriefen. Die Gäste, die der Zeremonie in der Kirche beiwohnen durften, folgten dem Wagen. Es war wie eine endlose Prozession und Hartwig erinnerte es an den Durchzug geordneter Kriegerscharen durch eine befreite Stadt.

Auf dem Festplatz, der zum Park der königlichen Residenz gehörte, war ein Zelt aufgebaut, unter dem das frisch vermählte Königspaar und die Ehrengäste an einer langen Tafel Platz nahmen. Im größeren Abstand vor ihnen, standen die Bänke und Tische für die übrigen Gäste. Diener brachten verdünnten und gewürzten Traubenwein und Früchte. Hartwig hatte wieder das Glück, zwischen Wachos Töchtern zu sitzen. Diesmal musste er ihnen von den Hochzeitsbräuchen im Frankenreich berichten. Diese basierten auf katholischen Traditionen und wurden von geistlichen Würdenträgern zelebriert. Amüsant fanden sie die Erzählung von König Chlodwigs Heirat mit der burgundischen Prinzessin Chrodechild und den Wundern, die in der Kirche geschehen sollten. Freigelassene Vögel führten jedoch zu einem Chaos in der Kirche und der engelsgleiche Gesang eines Knaben im Gebälk wurde durch sein Husten unterbrochen.

Nach dem Festessen traten die Vertreter der wichtigsten Stämme vor den König und gratulierten. Sie übergaben ihre Geschenke und Wacho bedankte sich. Es schien kein Ende zu nehmen. Dem König gefiel es. Viele der Gratulanten kannte er persönlich. Sie waren tapfere Krieger und treue Gefolgsleute. Für jeden hatte er ein freundliches Wort und die so Geehrten gingen zufrieden zu ihren Plätzen zurück.

Auch Amalafred überbrachte offiziell die Grüße und besten Wünsche der Thüringer Königin Amalaberga. Als Geschenk übergab er Wacho eines der kostbaren Schwerter seines Vaters und für die junge Königin ein Geschmeide aus Gold mit roten Edelsteinen besetzt.

Nachdem er wieder Platz genommen hatte, wollte die Königin von ihm wissen, wer diesen Schmuck hergestellt hatte. Er wusste es nicht und sah hilfesuchend zu Hartwig. Der bemerkte die Verlegenheit seines Freundes und kam ihm zu Hilfe. Als er erfuhr, worum es ging, sagte er, dass das Schmuckstück in einer Thüringer Zwergen-Schmiede gefertigt wurde, wo auch das Geschmeide für die germanische Göttin Freya herkam. Das war geflunkert. Diese Schmiede gab es in Wirklichkeit nicht. Mit einem Lächeln bedankte sich die Königin für diese Auskunft.

Schmunzelnd kehrte Hartwig zu seinem Platz zurück. Wachos Töchter wollten wissen, wonach die Königin gefragt hatte. Er sagte es ihnen. Doch die Neugierde war nicht befriedigt. Nun erzählte er ihnen die Geschichte mit dem Schmuck Brisingamen der germanischen Göttin Freya. Amüsiert hörten sie ihm zu. Er verschwieg nicht den Lohn zu nennen, den die Zwerge von der Liebesgöttin forderten. Sie musste mit jedem der Zwerge, die den Schmuck fertigten, eine Nacht verbringen. Verschämt wandten sich die Töchter von Hartwig ab.

In bestimmten zeitlichen Abständen unterbrachen Tanzaufführungen und Gaukler den Ablauf des Gratulierens. In einer dieser Pausen kam ein Meldereiter der Thüringer Königin zu Amalafred und überreichte ihm einen Brief seiner Mutter. Geschwind öffnete der Prinz das Lederfutteral und las das Schreiben. Besorgt sah er Hartwig an und reichte ihm den Brief.

„Es muss etwas Außergewöhnliches passiert sein. Deinen Brief kann sie noch nicht erhalten haben“, sagte Hartwig.

Audoin bemerkte die Unruhe bei seinen Freunden und fragte Hartwig nach dem Grund.

„Die Königin schrieb ihrem Sohn, dass er unverzüglich nach Vindobona reisen soll und dort Näheres erfährt.“

„Was hat sie als Grund angegeben? Gibt es Unruhen im Ostgotenreich?“, wollte Audoin wissen. Er machte sich große Sorgen um Rodalinde.

„Seine Mutter hat keinen Grund genannt. Das ist das Verwunderliche an der Nachricht.“

„Dann wird es sehr dringend sein. Ich spreche mit dem König, dass er Amalafred eine Begleitung und seine schnellsten Pferde gibt. Er kann Vindobona in wenigen Tagen erreichen.“

Bevor Hartwig etwas entgegnen konnte, informierte Audoin seinen König über den Vorgang. Hartwig sah nur, wie Wacho ihm stumm zunickte. Dann kam Audoin zurück und sprach mit Amalafred. Der kam zu ihm und zog ihn etwas abseits zu der Zeltwand.

„Ich werde sofort losreiten. Audoin bereitet alles vor. Wenn du die Gesandten ins Frankenreich begleitest, werden wir uns vielleicht in Vindobona sehen. Ich hoffe, dass es jetzt nicht ein Abschied für immer ist. Du wirst mir fehlen.“

Hartwig war gerührt. Amalafred sah angespannt und traurig aus.

„Ich könnte dich bis Vindobona begleiten und dort auf die Gesandtschaft warten“, schlug Hartwig vor.

„Bleibe hier! Ich habe es dem König zugesagt. Vielleicht sind noch einige Sachen mit ihm abzustimmen. Leb wohl mein Freund!“

Eilig verließ der Prinz das Festzelt, ohne sich von den anderen zu verabschieden und folgte Audoin in Richtung Residenz. Sie hatten die Stallungen erreicht und Audoin erteilte kurze Befehle. Danach sagte er zu Amalafred: „Dein Pferd und die persönlichen Sachen bringe ich mit nach Vindobona. Du bist schneller, wenn du nicht viel bei dir hast. Dein Leibwächter und der Bote sollen mit dir reiten. Ich gebe dir noch zwei von meinen Männern mit, die den Weg gut kennen. In den Stationen für die Meldereiter gibt es genug Wechselpferde, damit ihr die Nacht durchreiten könnt. Wenn du weißt, was los ist, gib mir durch einen Meldereiter gleich Bescheid!“

Ehe sich Amalafred versah, war seine Begleitung zum Abritt bereit. Im Galopp ritt die Gruppe aus dem Tor und war bald nicht mehr zu sehen.

Audoin ging zum Festzelt zurück. Wacho sah zu ihm hin und sein Heerführer nickte ihm zu. Hartwig machte sich Sorgen. Warum hatte die Königin ihrem Sohn nicht den Grund mitgeteilt? Er sprach mit Audoin darüber.

„Hast du eine Ahnung, was los ist? Sage es mir!“

„Ich kann es mir denken, doch es ist nicht sicher.“

„Was glaubst du? Sprich!“, drängte ihn Hartwig.

„Von einem unserer ostgotischen Kundschafter erfuhren wir, dass der König der Ostgoten bei der Ermordung der Regentin Amalasuntha beteiligt war und sich einige Fürsten gegen ihn stellen. Damit ist auch die Thüringer Königin in Gefahr.“

„Sollte ich zu ihr reiten?“, bot Hartwig an.

„Du kannst ihr nicht helfen. Als ich gestern von den Unruhen erfuhr, habe ich gleich einige meiner besten Männer in ostgotischer Verkleidung nach Ravenna entsandt. Sie sollen mir alles melden, was dort passiert und die Königin und Rodalinde beschützen. Es ist gut, wenn Amalafred und du nicht dort seid und ihr die Frankenfreunde auf euch aufmerksam macht. Die Königin stellt für sie keine Gefahr dar.“

Hartwig war überrascht, wie gut die Langobarden in Italien Bescheid wussten und welch gutes Informationsnetz sie dort besaßen. Er musste an die Worte von König Theudebert denken, der ihm sagte, dass Amalafred vor seinem Onkel, König Chlothar, nicht sicher wäre und dieser ihn jederzeit töten könnte, wenn er es nur wollte.

Hartwig ging an seinen Platz zurück. Wachos Töchter wollten unterhalten werden. Er erzählte ihnen die Göttergeschichte von dem Raub der Göttin Iduna und ihren lebensverlängernden Äpfeln. Die Hochzeitsfeier dauerte bis in die späten Abendstunden. Als das Königspaar die Festtafel verließ, kehrten auch die anderen heim. Sklaven richteten den Festplatz für den nächsten Tag wieder her. Drei Tage sollte die Feier dauern. Audoin war auf Anweisung von König Wacho schon am zweiten Tag nach Carnuntum abgereist. Ihn interessierten die Nachrichten, die Amalaberga ihrem Sohn in Vindobona zukommen ließ und er hoffte, dass Amalafred ihn darüber ausführlich unterrichtete.

Wegen der Gesandtschaft musste Hartwig in der Residenz bleiben. Am dritten Tag saß er neben dem König an der Tafel. Wacho wollte alles über die Franken von ihm wissen. Er interessierte sich besonders für das Heer, das König Theudebert anführte und welches Verhältnis er zu seinen beiden Onkeln, den merowingischen Königen Childebert und Chlothar, hatte. Der König war zufrieden mit den Auskünften.

„Du kennst dich gut bei den Franken aus und man könnte fast meinen, du bist einer von ihnen.“

„Ich habe lange Zeit bei ihnen gelebt und großes Glück gehabt, dass ich Theudebert dienen durfte.“

„Er scheint mir von der Merowingerbrut der Beste zu sein und ich bin froh, dass er mein Schwiegersohn wird.“

„In seinem Wesen und der edlen Gesinnung ist er bestimmt mit dem verstorbenen Ostgotenkönig Theoderich zu vergleichen. Ihm geht es vordergründig nicht um Krieg mit seinen Nachbarn, sondern er sucht den Ausgleich und die Verständigung der Völker.“

„So einen König wünsche ich mir an meiner Grenze im Nordwesten. Wenn wir miteinander verwandt sind, brauche ich mir keine Sorgen mehr zu machen.“

Wacho tastete unter seinem Umhang an seinem Gürtel herum und schien etwas zu suchen.

„Du hast mich mit deiner Schilderung erfreut. Ich möchte dir ein Geschenk machen. Sprich frei heraus, was du dir wünschst, wenn es nur nicht meine Frau ist“.

Er musste selbst über diesen Gedankenblitz lachen.

„Wenn du mir nicht deine Frau gibst, kannst du mir die Sklavin geben, die uns bei der Ankunft bedient hat.“

Verwundert sah ihn Wacho an und unterbrach das Suchen unter dem Umhang.

„Eine Sklavin wünschst du dir von mir, das ist doch nicht dein Ernst.“

Wieder begann er sich mit seinem Gürtel zu beschäftigen und hielt sein Messer in der Hand.

„Doch“, sprach Hartwig und sah Wacho ins Gesicht.

„Dein Wunsch sei dir gewährt und mein Messer bekommst du noch dazu. Das ist mehr wert als ein Dutzend Sklavinnen. Ich will dich auch nicht fragen, wozu du sie willst. Mir soll es Recht sein.“

Der König winkte einen Diener zu sich.

„Gib meinem jungen Freund die Sklavin, die er will. Sie gehört jetzt ihm.“

Gönnerhaft sah Wacho zu Hartwig. Er konnte nicht verstehen, warum sich der Thüringer dieses Weib von ihm wünschte. Hartwig betrachtete das Messer und Wacho erzählte ihm, dass er es einst von dem Thüringer König Bisin geschenkt bekam als er dessen einzige Tochter heiratete.

„Sie war eine sehr hübsche Frau und ich war glücklich mit ihr. Leider hatte sie eine Krankheit schnell dahingerafft.“

„Woran ist sie gestorben?“

„Das konnte mir keiner sagen. Sie hatte schwer leiden müssen, die Arme.“

Hartwig sah sich die Klinge an und strich vorsichtig über die Schneide. Sogleich ritzte er die Haut ein und das Blut trat langsam aus der kleinen Wunde.

„Du siehst, wie scharf es ist. Damit kannst du dich leicht rasieren. Wir Langobarden tragen jedoch aus Tradition lange Bärte, weil es Odin mag. Das ist eine alte Geschichte, die ich dir vielleicht einmal erzähle.“

Hartwig verriet nicht, dass er sie schon kannte. Er öffnete die Gürtelschnalle und schob die lederne Scheide, die mit kunstvoll ziseliertem Silberblech verstärkt war, darüber. Wacho sah ihm interessiert zu und wartete auf den Moment, wo er das Messer hineinschob.

„Achte sorgsam darauf, dass du es nicht verlierst. Ein so kostbares Damaszenermesser gibt es kein Zweites im ganzen Reich. Es ist ein Geschenk an dich, weil du meine Gesandtschaft zu König Theudebert führst.“

Wacho musste sich seiner jungen Frau widmen. Seitdem Amalafred verschwunden war, schien sie unzufrieden zu sein. Die Männer, die danach an ihrer Seite saßen, langweilten sie. Dem Prinzen Amalafred konnte keiner von ihnen das Wasser reichen. Am letzten Abend der Feierlichkeiten hatte Hartwig die Ehre, beim abendlichen Festessen neben der Königin zu sitzen. Er überlegte, wie er sie unterhalten konnte, ohne sie zu langweilen. Die Königin kam ihm zuvor. Sie hatte erfahren, dass Hartwig den Töchtern die Geschichte von dem Geschmeide „Brisigamen“ ausführlich erzählt hatte und es viel Gelächter deswegen in den Frauengemächern gab. Jetzt sollte er sie ihr erzählen. Bei dem Lohn für die Zwerge stockte Hartwig. Sie forderte ihn auf, die frivolen Details nicht wegzulassen. Ihr schien die Göttin Freya die Mächtigste der Göttinnen in Asgard, der Götterburg der Asen, zu sein und sie verglich sich selbst ein wenig mit ihr. Hartwig erzählte ihr mehrere Sagen, in denen Freya eine wichtige Rolle einnahm. Es schien die Königin nicht zu stören, dass die Göttin der Liebe viele Liebhaber hatte. Die meisten wählte sie nach besonderen Erfordernissen und Notwendigkeiten aus. Die Herulerin bewunderte diese Göttin und wäre gern, wie sie. Ihre Aufgabe jedoch war es, dem König der Langobarden den langersehnten Thronerben zu gebären. Sie musste darüber hinwegsehen, dass ihr Ehemann in die Jahre gekommen war und nicht wie ein jugendlicher Held seinem Heer voranritt. Der innere Druck, ihm einen Sohn zu schenken, dominierte ihr ganzes Denken und Handeln. Flüsternd gestand sie Hartwig, dass sie manchmal in der Nacht schweißgebadet aufwacht und in der vorbereiteten Wiege eine Tochter sieht. Ein Mädchen zu bekommen, schien ihr schlimmer zu sein als gar kein Kind zu haben. Dieser Gedanke war bei ihr zu einem Wahn gereift. Hartwig beruhigte die Königin und prophezeite ihr überzeugend, dass sie einen Sohn bekommen würde. Er riet ihr, der Liebesgöttin heimlich zu opfern.

„Wo und wie kann ich es tun?“, fragte ihn die Königin.

„Geht zeitig am Morgen zu einer Quelle im Wald und streut Blütenblätter in das klare Wasser. Freya wird dich sehen und es dir danken.“

Etwas besseres war Hartwig nicht eingefallen. Die Königin hatte sich beruhigt und war zufrieden.

König Wacho war müde und verließ mit seiner Gattin das Festzelt am frühen Abend. Seine beiden Töchter folgten ihm. Hartwig saß allein an der Tafel und niemand von den Festgästen setzte sich zu ihm. Er vermisste Amalafred. Sie waren viele Monde, seit der Ermordung König Herminafrids und der Flucht der Königin aus Thüringen, zusammen. Wenn es zwischen ihnen manchmal kleine Unstimmigkeiten gab, hielt die Verstimmung nie lange an. Oft hatte er den Eindruck, dass er sich mit ihm besser verstand als mit seinem Bruder Siegbert. Der war sturer und nicht so lebenslustig wie Amalafred. Jetzt musste er lange Zeit auf beide verzichten. Der eine war auf dem Weg nach Thüringen und der andere musste möglicherweise zurück nach Ravenna, zu seiner Mutter.

Hartwig ging in sein Quartier. Er pflegte sein Trübsal und versuchte, die miese Stimmung mit Wein zu ertränken. Der Diener vor der Tür runzelte die Stirn, wenn er ihn nach einem neuen Krug, des süßen Getränks, schickte. Aus Erfahrung schien er zu wissen, wohin das führte.

 

Am nächsten Morgen hatte Hartwig einen schweren Kopf. Der Diener gab ihm ein Pulver, dass gegen die Schmerzen in seinem Schädel helfen sollte. Er berichtete Hartwig, dass der König mit seiner jungen Frau die Residenz verlassen hatte und zu einer Villa auf der anderen Seite des Sees gereist war. Hartwig musste warten, bis die Gesandtschaft zur Abreise bereit war. Er traf sich mit ihrem Anführer Rudolf, der ihn zu verschiedenen Dingen im Frankenreich befragte. Seit ihrer ersten Begegnung wusste Hartwig, dass er nicht gut mit ihm auskommen würde. Der Mann war arrogant und ließ dem Thüringer bei jeder Gelegenheit wissen, wer das Sagen hatte.

Die neue Königin war seine Nichte und durch die Heirat zählte er nun zur Königsfamilie. Das stieg ihm zu Kopf und selbst die alten Freunde schienen ihn zu meiden.

Die Gesandtschaft bestand aus zwei weiteren Männern, die der Anführer selbst ausgewählt hatte. Der König ließ ihm freie Hand, da er von den Fähigkeiten seines bewährten Hundertschaftsführers überzeugt war. Es kam sogar vor, dass der Gesandte Hartwig in der Nacht zu sich rufen ließ, weil er von ihm irgendeine belanglose Frage beantwortet haben wollte. Anfangs dachte Hartwig, dass es reine Schikane sei, doch bald erkannte er, dass es pure Dummheit war. Nach ein paar Tagen fand sich der Thüringer damit ab.

Als er eines Abends von einer dieser Besprechungen in sein Quartier zurückkam, saß die Sklavin, um die er den König gebeten hatte, auf der Steinbank. Sie sprang auf und kniete vor ihm nieder. Immer wieder senkte sie den Kopf und blickte danach zu Hartwig auf. Er sah sie verständnislos an, bis er begriff, dass er durch das Auflegen seiner Hand, sie als Sklavin annahm. Zögerlich legte er die rechte Hand auf ihr Haupt. Lächelnd sah sie zu ihm auf, ohne etwas zu sagen.

„Wie geht es deinem Rücken? Ich will ihn sehen!“, sagte er zu ihr.

Erschreckt wich sie ihm aus.

„Du brauchst vor mir keine Angst haben.“

Sie drehte ihm den Rücken zu und löste die Fibeln von ihrem Kleid. Es fiel nach unten. Hartwig besah sich die eiternden Wunden.

„Hast du Schmerzen?“, fragte er.

„Nein, es tut nicht weh“, beschwichtigte sie ihn.

„Ich werde eine Heilsalbe besorgen, damit es besser wird.“

Er ging zur Tür und wies den Diener an, schnell eine geeignete Salbe zu bringen. Der eilte davon.

Es dauerte nicht lange und er kam mit einer kleinen Schale zurück. Hartwig hob den Deckel und roch an der weißen Mixtur. Die Tinktur stank und er verzog die Nase. Erschreckt sah ihn der Diener an.

„Die habe ich von dem Medicus des Königs. Er sagte mir, dass du sie dünn auf die Wunde auftragen sollst.“

Eifrig kramte er aus seiner Gürteltasche eine kleine Flasche hervor.

„Diese Tinktur gab er mir auch noch. Sie ist zum Reinigen der entzündeten Stellen.“

Hartwig sagte der Frau, dass sie sich bäuchlings auf die Marmorbank legen sollte. Der Diener stand ratlos daneben. Als er die Striemen sah, wurde er ganz blass.

Hartwig betupfte mit der Tinktur vorsichtig den äußeren Wundbereich. Als aus Versehen etwas von der Flüssigkeit auf eine der eitrigen Striemen kam, zuckte die Sklavin vor Schmerzen zusammen, doch sie sagte kein Wort. Danach strich er mit den Fingern die milchweiße Wundcreme auf die nässenden Stellen. Das schien der jungen Frau angenehm zu sein, denn ihr Rücken entkrampfte sich allmählich.

„Du bleibst jetzt liegen und rührst dich nicht weg“, sagte Hartwig zu ihr.

Der Diener holte ein dünnes Leinentuch, das Hartwig über die Beine und das Gesäß der Sklavin legte. Er ließ sich einen Eimer mit kaltem Wasser und mehrere Tücher bringen und deutete an, dass der Diener nun gehen konnte. Eilig verließ der blass aussehende Mann den Raum. Mit eitrigen Wunden und deren Behandlung hatte er nicht viel im Sinn.

Hartwig setzte sich in einen aus Weidenholz geflochtenen Sessel und betrachtete seine Patientin. Die Sklavin schien eingeschlafen zu sein. Sie hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig. Er war mit sich und seinem Handeln zufrieden. Ein wenig wunderte es ihn, dass er sich für eine Sklavin einsetzte. Vielleicht lag es daran, dass er in seiner Kindheit mit einem Sklavenmädchen aufwuchs. Sie hieß Rosa. Seine Gedanken flogen in die Heimat. Rosa hatte ihm das Schwimmen in den Waldteichen beigebracht. Sie war nicht älter als er, doch irgendwie schien sie ihm um einige Jahre voraus gewesen zu sein. Er musste lächeln als er sich daran erinnerte, wie er auf ihre Annäherungsversuche reagierte. War es Dummheit oder Schüchternheit die ihn davon abhielten, die dargebotenen Früchte zu kosten? Er war noch nicht reif und unerfahren in Dingen, die das andere Geschlecht betrafen. Über diese Gedanken schlief er in dem Korbsessel ein.

Gegen Mitternacht schreckte ihn ein Geräusch aus dem Halbschlaf. Er hatte ein Klirren vernommen. Was konnte das gewesen sein? Neben der Liege entdeckte er das kleine Fläschchen mit der reinigenden Tinktur, das umgestoßen war. Die Sklavin musste aus Versehen dagegen gekommen sein. Der Mond schien in den Raum und sein fahles Licht fiel auf den unbedeckten Körper der Frau. Sie lag da, wie er sie vor ein paar Tagen im Bett mit Amalafred gesehen hatte. Vorsichtig hob er die Flasche auf und sah nach den Wunden. Schweißtropfen lagen wie Perlen auf ihrer Haut. Mit einem Tuch tupfte er sie ab und fühlte die Temperatur auf ihrer Stirn. Sie war heiß. Ihr Zustand hatte sich verschlechtert. Ob die Tinktur daran schuld war?

Nach kurzer Zeit bekam die Sklavin heftigen Schüttelfrost. Sie hatte Fieber. Hartwig wischte ihr den Schweiß mit einem feuchten Tuch ab. Sie sah ihn mit ihren großen schwarzen Augen an. Es war der gleiche Blick, mit dem sie ihn vor ein paar Tagen, auf der Strafbank liegend, ansah. Was musste sie seinetwegen gelitten haben? Die Hilfe, die er ihr jetzt zukommen ließ, beruhigte sein schlechtes Gewissen. Womöglich wusste sie gar nicht, dass er der Verursacher ihrer Pein war, doch das war jetzt nicht mehr wichtig. Die ganze Nacht kümmerte er sich um sie und in den Morgenstunden fiel sie in einen tiefen Schlaf. Über den kritischen Punkt schien sie gekommen zu sein. Die Morgensonne stieg über dem See auf. Hartwig legte sich auf seine Liege und versuchte zu schlafen.

Immer wieder tauchte das Bild von Rosa vor seinen Augen auf. Sie war ein schönes Mädchen und gern hätte er seine Erfahrungen im Umgang mit dem anderen Geschlecht bei ihr erweitert. Doch es kam anders. Sie hatte sich in seinen älteren Bruder Harald verliebt. Anfangs war das für Hartwig schmerzlich, doch die Zeit heilte irgendwann diese Wunde.

Gegen Mittag wurde er wach. Der Diener sagte ihm, dass der Gesandte inzwischen nach ihm gerufen habe und er ihn informierte, dass er nicht wüsste, wo sein Herr hingegangen wäre. Hartwig lächelte. Es war eine gute Notlüge. Dem Diener gefiel die fürsorgliche Art des Thüringers, die er noch nie bei einem seiner hochwohlgeborenen Herren festgestellt hatte. Die Sklavin hatte kein Fieber mehr, doch sie fühlte sich schwach. Immer wieder versuchte sie aufzustehen, doch Hartwig erlaubte es nicht.

Am nächsten Tag war ihr Gesundheitszustand besser. Die eitrigen Striemen hatten sich teilweise geschlossen und eine Kruste von gelbgrünem Schorf lag darüber. Die Sklavin stand auf und band sich ein weißes Tuch um die Hüfte. Ihr Oberkörper blieb frei, damit Luft an die geschlossenen Wunden kommen konnte. Das sollte den Heilungsprozess fördern. Hartwig blickte von der Terrasse auf den See. Die Sklavin saß auf der Marmorbank und sang leise vor sich hin.

„Was ist das für ein Lied, das du singst?“, rief Hartwig ihr zu.

Sie kam zu ihm auf die Terrasse.

„Es ist ein Lied aus meiner Heimat und handelt von einem Jungen und einem Mädchen. Sie wollten heiraten, wenn sie alt genug sind. Der Junge wurde ein Krieger und niemand wusste, ob er noch lebte und das Mädchen wartete Tag für Tag auf ein Lebenszeichen von ihm.“

Die Räume waren durch die Mittagssonne aufgeheizt. Hartwig ließ vom Diener einen Zuber mit kaltem Wasser auf die Terrasse stellen. Er setzte sich kurzzeitig hinein und kühlte seinen erhitzten Körper ab. Die Sklavin wischte mit einem Tuch die Möbel und Marmorbänke ab und sang dabei. Der Thüringer sah ihr dabei zu. Schweiß lief ihr über das Gesicht, doch es schien sie nicht zu stören.

„Möchtest du dich ein wenig abkühlen?“, fragte er.

„Das ist mir nicht erlaubt“, erwiderte sie unsicher.

„Ich bin jetzt dein Herr! Was du tun darfst und lassen sollst, bestimme ich.“

Die Sklavin erschrak. Sie fiel vor ihm auf die Knie und ihre Stirn berührte den Steinboden.

„Steh auf, ich meine es gut mit dir.“

Hartwig stieg aus dem Zuber und legte sich ein Leinentuch um die Hüfte. Er setzte sich auf die Steinbank und betrachtete die junge Frau. Sie stand bewegungslos da.

„Steig ins Wasser und pass auf, dass dein Rücken trocken bleibt“, wies er sie an.

Sie setzte vorsichtig einen Fuß in den Bottich und zog nach einer Weile den zweiten nach. Dann löste sie das Tuch um ihre Hüfte und ließ es auf die Steine fallen. Ganz langsam ging sie in die Hocke und benetzte mit den nassen Händen ihr Gesicht, die Schultern und die Brüste. Ihr Gesichtsausdruck zeigte eine kindliche Freude und dankbar sah sie zu Hartwig hin. Er genoss den Anblick ihres wohlgeformten Körpers. Sie war schön, doch ein wenig zu dünn für seinen Geschmack. Wahrscheinlich hatte sie nicht genug zu essen bekommen.

Jetzt erst kam ihm die Frage in den Sinn, was er mit ihr machen sollte. Er konnte sie seiner Frau Elke schenken. Sie würde sich bestimmt darüber freuen. Noch immer sah er ihr zu, wie sie sich im Wasser wie ein Kind vergnügte und wusch. Das vertrieb ihm die Zeit. Der Gesandte hatte nicht erneut nach ihm gefragt und er verbrachte den ganzen Tag auf der Terrasse seiner Unterkunft. Zu den Mahlzeiten brachte der Diener allerlei Dinge aus der Küche. Seine Sklavin kostete nur von den Früchten.

„Hast du schon einmal Wein probiert?“, wollte er von ihr wissen.

Sie verneinte.

„Trink einen Schluck aus meinem Becher“, forderte er sie auf.

Zögernd ergriff sie den Tonbecher und nahm einen kleinen Schluck. Sie verzog das Gesicht als hätte sie Essig geschluckt.

„Schmeckt er dir nicht?“

„Er ist sauer!“, entgegnete sie hustend.

Hartwig rief nach dem Diener und wies ihn an, aus der Küche einen süßen Wein zu holen. Der kam mit einem Krug des gewünschten Getränks zurück. Hartwig nippte davon. Ihm war er viel zu süß.

„Der ist gut!“, sagte er zum Diener und deutete ihm an, zu gehen.

„Koste diesen!“

Sie probierte einen Schluck.

„Schmeckt er dir?“

Die Sklavin nickte ihm zufrieden zu. Hartwig blieb bei seinem trockenen Wein. Sie prosteten sich immer wieder zu. Die Sklavin erzählte von ihrer Heimat in Illyrien und der schönen Kindheit bis zu der Zeit, wo sie als Sklavin verschleppt wurde. Hartwig erinnerte sich an die vielen Thüringer Mädchen und Frauen, die nach dem Sieg der Franken an der Unstrut, in die Sklaverei geführt wurden und ein ähnliches Schicksal erdulden mussten. Auch er war einst Sklave, doch hatte er Glück, dass er dem Frankenkönig Theudebert dienen durfte. Nicht jedem seiner Landsleute erging es so gut, wie ihm. Die meisten mussten auf den fränkischen Feldern schuften und bekamen nicht genug zu essen. Es gab für sie keine Hoffnung auf Rettung, denn Thüringen war nun eine Provinz des großen Frankenreiches und niemand aus den Familien hatte genügend Geld, die Sklaven frei zu kaufen.

Der Wein stieg der Frau in den Kopf. Das sah Hartwig an ihren geröteten Wangen.

„Trink nicht so hastig, sonst bist du gleich betrunken und fällst von der Bank“, warnte er. Ungläubig sah sie in den Becher und lachte. Jetzt erst bemerkte er ihre schönen weißen Zähne. Inzwischen war es Nacht geworden und ein kühler Wind blies von der Seeseite herüber.

„Kannst du ein Musikinstrument spielen?“, fragte er sie. Sie nickte und sagte: „Fistula.“

Hartwig rief den Diener und der brachte eine Knochenflöte und eine langgestreckte Trommel. Sie fing an, auf der Flöte zu spielen. Es war eine sanfte Weise, die Hartwig ganz melancholisch stimmte. Er winkte ab. Sie nahm die Trommel und klemmte sie zwischen ihre Oberschenkel. Leicht schlug und strich sie im Rhythmus darüber und sang ein fröhliches Lied dazu. Das gefiel Hartwig besser. Sie freute sich, seinen Geschmack getroffen zu haben. Er legte sich auf die Steinbank und genoss die Musik und den Wein.

Irgendwann übermannte ihn die Müdigkeit und er schlief ein. Sie merkte es und ließ das Lied langsam ausklingen. Ihr neuer Herr gefiel ihr und sie hoffte, dass er mit ihr zufrieden sein würde. Das Musizieren hatte sie durstig gemacht und sie goss sich einen Becher von dem süßen Wein ein. Versonnen betrachtete sie das gewellte Haar des Thüringers. Im Mondlicht sah es silbern aus. Vor der Liege kniete sie nieder und ließ die dünnen Strähnen langsam durch ihre Finger gleiten.

Sie küsste ihn auf Wange und Lippen und sah ihn verzückt an. Mit der rechten Hand strich sie über seinen Hals und die muskulösen Arme. Ein starkes Gefühl der Zuneigung und Dankbarkeit überkam sie. Vorsichtig löste sie den Knoten seines Tuchs, das er sich um die Taille gebunden hatte und schob es zur Seite. Hartwig wurde dadurch wach, doch ließ er es sich nicht anmerken. Mit geschlossenen Augen stellte er sich schlafend. Sie bedachte ihn mit vielen Zärtlichkeiten, die er dankbar genoss. Nie hätte er sie dazu aufgefordert. Erschöpft und zufrieden legte sie sich neben seiner Steinbank auf den Boden und schlief ein.

 

Hartwig wurde zeitig wach. Der Mond schien noch und er sah die Frau neben sich ausgestreckt am Boden liegen. Die Erinnerung an den schönen Abend stimmte ihn froh. Langsam ging die Sonne am Horizont auf. Es schien als würde sie den Mond vom Himmelsgewölbe schieben.

Auf dem Weg zur Küche sah er kurz in den Pferdestall. Die Knechte striegelten die edlen Tiere und versorgten sie mit Wasser und Heu. Zufrieden ging er weiter und setzte sich an den Frühstückstisch. Die Mägde brachten ihm eine Schale mit Brei und stellten einen Becher mit Milch dazu. Sie hatten viel zu tun, obwohl der König nicht in seiner Residenz weilte. Hartwig aß langsam und dachte darüber nach, was er für die Reise ins Frankenreich besorgen wollte.

Über den Hof lief einer der Begleiter des Gesandten. Er erblickte Hartwig und schrie von weitem, dass er sich zur Abreise fertig machen soll. Hartwig reagierte nicht auf den Zuruf und sah in die andere Richtung. Der Mann kam näher und stotterte vor Aufregung. Hartwig sah ihn lächelnd an.

„Atme langsam durch und sage mir was passiert ist“, beruhigte er ihn.

„Der Gesandte will noch heute die Stadt verlassen und sagte mir, dass ich dich suchen soll.“

„Wieso hat er es auf einmal eilig?“, wollte Hartwig wissen.

„Das musst du ihn selbst fragen. Mir hat er nichts erzählt.“

Hartwig ging in sein Quartier und packte die Sachen. Der Diener half ihm und der Sklavin. Kurze Zeit danach saßen beide im Sattel und ritten zum Haus des Gesandten.

Auf dem Hof sah er die Begleiter mit ihren Pferden stehen. Zwei schwer beladene Packtiere hatten sie am Zügel. Es sah aus als würde eine Handelskarawane auf die Abreise warten.

„Was willst du mit der Sklavin? Denkst du, dass es im Frankenreich keine Weiber gibt?“, fragte ihn der eine Begleiter und lachte.

„Ich kann doch ein Geschenk des Königs nicht zurücklassen oder denkst du anders darüber“, entgegnete Hartwig.

Das Lachen verstummte.

Der Gesandte kam auf den Hof und sprang in den Sattel. Er sah sich um und erblickte den Thüringer mit der Frau.

„Bist du endlich da, dann können wir losreiten. Was ist mit dem Weib an deiner Seite? Willst du die etwa mitnehmen?“, fragte er mürrisch.

„Ja! Der König hat sie mir geschenkt“, erwiderte Hartwig trocken.

„Das ist mir egal, wer dir eine Sklavin schenkt. Weiter als bis zur langobardischen Grenze darf sie nicht mit uns reisen. Sieh zu, dass du sie wieder loswirst!“

Hartwig erwiderte nichts. Es hätte keinen Sinn, sich gegen die Entscheidung des Gesandten aufzulehnen.

Rudolf hob seine Hand als würde er ein Reiterheer in die Schlacht führen und ritt im Schritt durch das Tor der Stadt. Die beiden Begleiter folgten ihm mit den Packpferden und als letzte ritten Hartwig mit seiner Sklavin.