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Leseprobe: Die Spur der weißen Pferde (1. Kapitel) | ||||||
1. Die Heimkehrer
Die Morgensonne
umkränzte den Wilberg in einem zarten Türkis. Kein Wölkchen zeigte sich am
Himmel. Die Kinder waren ausnahmsweise die Ersten, die aufstanden. Sie
beeilten sich, zum Priester nach Wipa zu kommen, der ihnen Geschichten über
die germanischen Götter erzählen wollte. Gestern Abend hatte er es ihnen bei
der Sommersonnenwendfeier versprochen.
Siegbert, der
jüngste Bruder des Gaugrafen Harald aus Rodewin, wurde durch ihr Lärmen
geweckt und rieb sich missmutig den Schlaf aus den Augen.
„Seid still!“,
schrie er die Kinder an, doch es half nichts. So kroch Siegbert unter seiner
Wolldecke hervor und ging auf den Hof zum Brunnen. Neben einem Stein stand
ein Holzeimer mit Wasser. Den goss er sich über den Kopf und wischte mit dem
Hemd das Gesicht trocken.
Siegbert hatte
nur wenig geschlafen. Mit seinen Freunden saß er bis nach Mitternacht am
Feuer und sie feierten die bestandene Jungkriegerprüfung. Es war dabei viel
Bier und Met durch die Kehle geflossen und an alles konnte er sich nicht
mehr erinnern.
Da war noch
Helga, die Tochter der Kräuterfrau. Mit ihr hatte Siegbert sich lange
angeregt unterhalten, als die anderen schon verschwanden.
Es war nicht nur
beim Gedankenaustausch geblieben, denn sein alkoholdurchtränktes Hirn gab
nun immer mehr Einzelheiten preis.
Schmunzelnd
dachte er an die zarten Umarmungen und den Duft, der sie umgab. Er griff in
seine Hemdtasche und zog ein kleines Tuch hervor. Das trug sie um ihren Hals
und hatte es ihm beim Abschied geschenkt. Er hielt es unter die Nase und
schien wie betört. Helga hatte ihm gesagt, dass sie ihn liebt und er fühlte
genauso.
„Siegbert, komm
frühstücken!“, riss ihn die herrschende Stimme seiner Schwägerin Heidrun aus
den Gedanken. Hunger hatte er keinen, doch verärgern wollte er die Hausfrau
nicht. Schnell trank Siegbert Wasser mit kleingestoßener Weidenrinde, um die
kleinen Bierkrieger, die in seinem Kopf mit ihren Hämmern um sich schlugen,
zu besänftigen. Dann schlenderte er zurück ins Langhaus und setzte sich an
den großen Esstisch neben seinen ältesten Bruder Harald. Sie waren allein.
Die Kinder wollten nichts essen und die anderen waren noch mit dem Füttern
des Viehs beschäftigt.
Harald war nicht
nur Sippenältester von Rodewin, sondern auch Gaugraf des Oberwipgaus, zu dem
alle umliegenden Siedlungen gehörten. Vor der Niederlage gegen die Franken
war er auch königlicher Verwalter vom Wiesenland, der Zusammenfassung eines
großen Gebiets, das mehrere kleine Gaue einschloß. Obwohl die Verwaltung des
Thüringer Königreiches in den von den Franken besetzten Teilen des Reiches
nicht mehr bestand, kamen die Gaugrafen des Wiesenlandes bei strittigen
Angelegenheiten immer noch zu ihm. Heute nun sollte im Thing, der
Versammlung aller kriegsfähigen Männer, über ein wichtiges Thema gesprochen
und abgestimmt werden.
Harald klopfte
Siegbert anerkennend auf die Schulter. „Heute Mittag wirst du das erste Mal
im Thing mitstimmen können. Freust du dich darauf?“.
Siegbert nickte.
„Es kommen alle
Sippenältesten, Krieger und Priester aus dem Wiesenland und ich denke, dass
wir am Nachmittag schon eine Entscheidung treffen werden.“
Heidrun kam mit
einer großen Schüssel aus der Küche und stellte sie auf den Tisch. Es war
Haferbrei, mit darüber gestreuten Beeren.
Gemächlich
langten die beiden Männer mit ihren Holzlöffeln zu und zeigten durch lautes
Schmatzen an, dass es ihnen schmeckte. Heidrun freute sich darüber und
lächelte. Sie setzte sich zu ihnen und da die beiden Brüder mit dem Essen
beschäftigt waren, nutzte sie die Gelegenheit, um mit ihnen über eine Sache
zu sprechen, die ihr schon lange am Herzen lag.
„Letzte Woche
habe ich mit Ulrichs Frau aus Alfenheim gesprochen. Sie ist in großer Sorge,
was einmal werden wird. Von ihrem Mann und dem Sohn hat sie nichts mehr
gehört und sie glaubt, dass beide in der Schlacht an der Unstrut gefallen
und mit den Walküren in Walhall eingeritten sind.“
„Es ist ein
großer Verlust für uns alle“, bestätigte Harald, ihr Ehemann, und aß weiter.
„Für die Frau
ist die Arbeit im Haushalt und auf dem Feld zu viel.“
„Sie hat doch
noch ihre Tochter Gislinde, die ihr zur Hand geht“, bemerkte Harald.
„Auch für beide
ist es nur schwer zu schaffen. Es fehlt ein Mann im Haus. Gislinde ist im
heiratsfähigen Alter und die Mutter sieht sich nach einem Mann für sie um.
Am liebsten wäre es ihr, wenn Siegbert ihre Tochter zur Frau nehmen würde.“
Siegbert blieb
der letzte Bissen fast im Halse stecken. Er verschluckte sich und musste
husten. Harald klopfte ihm zur Unterstützung auf den Rücken.
„Das kommt gar
nicht in Frage, dass ich die heirate!“, entgegnete Siegbert barsch.
„Was hast du
denn gegen das Mädchen? Sie ist hübsch und gescheit. Jeder Bursche würde
sich freuen, ein solches Weib einmal zu bekommen.“
„Ich aber
nicht!“, entgegnete er.
„Du wärest dann
Herr von Alfenheim und hättest für dein Leben ausgesorgt.“
„Das
interessiert mich alles nicht. Weder die Siedlung noch Gislinde will ich je
haben. Nach Weibern steht mir kein Sinn. Dafür bin ich noch zu jung.“
Verärgert sah
Heidrun ihren Schwager an.
„Gestern Abend
scheinst du jedoch nichts gegen Frauenzimmer gehabt zu haben und wählerisch
warst du auch nicht gerade. Ich habe dich mit der Tochter von der
Kräuterfrau gesehen, wie ihr es neben dem Gluthaufen des Sonnenwendfeuers
getrieben habt.“
Siegbert
schnellte von seinem Schemel hoch, dass der nach hinten umkippte.
„Spionierst du
mir nach?“, schrie er aufgebracht.
Heidrun und
Harald sahen ihn verdutzt an. Siegbert lief eilig aus dem Haus, rannte zum
Pferdestall und ritt mit seinem weißen Hengst davon.
Er wollte nur
schnell weg und seinen Frust abreagieren. Das Ansinnen seiner Schwägerin
fand er ungeheuerlich. Keiner sollte ihm jemals vorschreiben können, mit wem
er sich einst verbindet, auch nicht die Frau des Sippenältesten. Aus
Erfahrung wusste er, welchen Einfluss sie auf ihren Mann hatte.
Siegbert ritt an
Wipa vorbei nach Schmeta. Sein Freund Ulf war gerade erst aufgestanden und
wunderte sich, dass Siegbert schon bei ihm auftauchte.
„Was ist los?“,
wollte er wissen.
„Komm mit, ich
erzähle es dir später!“
Ohne weiter zu
fragen, folgte er Siegbert. Sie ritten im Galopp nach Rinslar und stiegen zu
Fuß bis zu der Wehranlage auf dem Rinsberg hinauf.
„Sag mir
endlich, was mit dir los ist!“, forderte ihn sein Freund auf. Noch immer
wütend und aufgebracht berichtete er ihm, was zu Hause vorgefallen war und
dass ihn seine Schwägerin mit Gislinde verkuppeln wollte. Sein Freund
versuchte, Siegbert zu beruhigen. Siegbert war außer sich.
„Ich will die
dumme Gans nicht heiraten! Sie ist älter, als ich und war schon mal in
meinen Bruder Hartwig verknallt.“
„Vielleicht mag
sie dich.“
„Das ist mir
egal, ich will Helga heiraten und keine andere.“
„Hat dir das
Kräutermädchen gestern Abend den Kopf verdreht?“
„Ich liebe sie,
kannst du das nicht begreifen?“
„Weiß denn
Helga, dass du sie heiraten willst?“, wollte Ulf wissen.
„Das nicht, aber
sie hat mir gesagt, dass sie mich liebt.“
„Dann frag
Helga, ob sie dich auch heiraten will!“
„Das muss ich
nicht, wenn sie mich liebt, ist das ganz normal, dass sie mein Weib werden
will.“
„Es kann
trotzdem nichts schaden, zu fragen.“
„Gut, morgen
werde ich es tun. Reitest du mit zu ihr?“
„Natürlich komme
ich mit. Ich hole dich zeitig in Rodewin ab“, sicherte ihm Ulf zu.
Siegbert schien
etwas beruhigt und sie ritten nach Wipa, zu ihrem ersten Thing.
Zur Mittagszeit
war die Versammlung festgesetzt. Erstmals waren die Jungkrieger anwesend,
durften ihre Meinung äußern und selber mit abstimmen. Tage zuvor waren
einige von ihnen zu Harald gekommen und wollten mit ihm über das
angekündigte Thema sprechen. Wie sollten sie sich gegenüber dem neuen
Christengott verhalten? Bei einigen war die Verunsicherung derart gestiegen,
dass sie sich im Innersten zu dem neuen Glauben, den die Kuttenträger im
Stillen verbreiteten, hingezogen fühlten. Harald konnte und wollte keinen
Ratschlag geben und verwies auf die Aussprache in der Versammlung.
Es waren so
viele Männer gekommen, dass der
Thingplatz in Wipa kaum ausreichte. Sie standen in einem weiten Kreis um
einen großen Stein herum, auf dem Harald stand. So konnten ihn alle gut
sehen und hören. Die kunstvoll geschnitzte Holzstelze seines linken Beins
hatte er von sich gestreckt und stützte sich auf seinen großen Speer.
Vor vier Jahren
wurde ihm im Kampf gegen die Franken der linke Unterschenkel durch einen
Schwerthieb abgetrennt, doch das lag lange zurück und niemand beachtete es
mehr.
Harald sah zu
den Kriegern, ob alle gekommen waren. Zufrieden blickte er auf die
Jungkrieger, die zum ersten Mal in diesem Kreis mitreden und entscheiden
konnten.
Der Gaugraf gab
nochmals das Thema bekannt, über das beim Thing gesprochen werden sollte. Es
ging darum, einen gemeinsamen Standpunkt zum neuen Glauben zu finden.
Es meldeten sich
viele zu Wort. Am Anfang der Reden gab es mehrere Fürsprecher für die neuen
Lehren des Christentums, die von den katholischen Mönchen im ganzen Land
verbreitet wurden. Einige lobten die Neuerungen in der Landwirtschaft und im
Gartenbau und wollten sie übernehmen.
Rede und
Gegenrede wechselten sich ab. Allmählich jedoch bekamen die Gegner des
christlichen Glaubens Oberwasser. Sie wurden vom Großteil der Priester
unterstützt und sahen in den Fremden böse Dämonen, die sich in die Herzen
der Thüringer einschleichen wollen und die man auf jede erdenkliche Art
bekämpfen müsste.
Harald hielt
sich aus der Diskussion weitgehend heraus. Er musste versuchen, dass man
sich am Ende des Tages auf eine gemeinsame Lösung einigte.
Den Priestern
schlossen sich fast alle Jungkrieger an, so dass die Gruppe der Fürsprecher
und Gemäßigten sich nicht mehr durchsetzen konnte. Sie liefen sogar Gefahr,
von den anderen offen angefeindet zu werden.
Der Gaugraf
versuchte gegen Ende des Things die Gemüter wieder zu beruhigen.
Die Forderung
nach der Vertreibung der Kuttenmänner war nicht mehr wegzubringen. Ihr
Glaube wurde als Gefahr für die Thüringer angesehen und sollte in Zukunft
mit allen Mitteln bekämpft werden. Dem Gaugrafen gelang es noch, dies so
weit abzuschwächen, dass niemand dabei absichtlich getötet werden durfte,
denn die Jungkrieger hatten zuvor die Vernichtung der Mönche gefordert. Sie
wollten als starker Arm der germanischen Priesterschaft die Andersgläubigen
nicht nur vertreiben, sondern den Göttern im heiligen Hain als Opfergabe
bringen. Auch Siegbert hatte sich dieser Gruppe der radikalen Hitzköpfe
angeschlossen. Harald, der Gaugraf, redete ihnen immer wieder zu, tolerant
zu den Andersgläubigen zu sein, doch keiner von ihnen wollte auf ihn hören.
Am nächsten
Morgen erschien zeitig in der Früh Siegberts Freund Ulf in Rodewin. Er blieb
im Hof stehen und wartete. Harald ging auf ihn zu und fragte, ob er nicht
ins Haus kommen wollte.
„Siegbert und
ich haben etwas ganz Wichtiges vor und müssen gleich weg.“
„Wollt ihr die
Kuttenträger vertreiben?“
„Heute nicht,
aber bald schon werden wir sie aus Thüringen verjagen.“
„Wenn ihr sie
tötet, dann macht ihr aus ihnen Märtyrer.“
„Ich habe noch
nie von denen gehört. Was ist das?“
„Ein
Kuttenträger sagte mir, dass es ein großes Glück für einen Christenmenschen
ist, wenn er für seinen Glauben stirbt. Dann soll er gleich in den Himmel
kommen und ist unsterblich. Sie sind wahrscheinlich so etwas wie Einherier,
die in Walhall leben.“
„Werden die dann
auch so stark sein?“
„Vielleicht noch
gefährlicher, deshalb achtet darauf und tötet keinen Mönch!“
Siegbert kam aus
dem Haus. Er kaute noch an dem letzten Bissen seines Frühstücks. Eilig lief
er zur Koppel und pfiff nach seinem Hengst. Siegbert schwang sich darauf und
die beiden Jungkrieger galoppierten davon. Unterwegs machten sie am
Schwemmteich kurz Halt.
„Was wollte
Harald von dir?“, fragte Siegbert seinen Freund.
„Er sagte mir,
dass wir die Kuttenträger nicht umbringen sollen, denn sonst kommen sie zu
ihrem Gott und werden unsterblich, wie die Einherier.“
„Das habe ich
noch nie gehört. Er wollte dir damit nur Angst machen.“
„Das denke ich
nicht. Bevor wir die überfallen, sollten wir mit unserem Priester sprechen.“
„Das hat noch
Zeit, jetzt haben wir etwas Wichtigeres vor. Was machen wir, wenn Helga
nicht im Haus ist?“
„Dann suchen wir
sie im Wald“, antwortete Ulf.
„Gut, so lass
uns weiterreiten!“
Siegbert trieb
seinen Hengst an, als wäre er auf der Flucht. Ulf hatte Mühe, ihm zu folgen.
Kurz vor dem Haus der Kräuterfrau machten sie Halt.
„Ob es heute der
richtige Zeitpunkt ist, Helga zu fragen? Oder sollten wir ein anderes Mal
herkommen?“
„Jetzt sind wir
hier und nun reite endlich zu ihr und berede alles! Ich werde auf dich
warten.“
Unsicher ritt
Siegbert auf das Haus zu. Er ging zur Tür und sah hinein. Die Kräuterfrau
und Helga waren da.
„Was ist mein
Junge, willst du nicht hereinkommen?“, rief sie Siegbert zu. Er trat ein und
sah verstohlen zu Helga.
„Du willst
bestimmt mit ihr allein sein. Ich gehe etwas Reisig sammeln, damit wir uns
mittags eine gute Suppe kochen können. Gern kannst du mit uns essen.“
Die alte Frau
nahm ihren geflochtenen Tragkorb und ging nach draußen.
Helga sah zu ihm
hin und sagte: „Setz dich!“
Es klang so
unpersönlich, dass Siegbert glaubte, gar nicht die Geliebte von der
Sonnenwendfeier vor sich zu haben. Sie hantierte an der Feuerstelle und kam
mit einer Schale Tee zu ihm.
„Trink einen
Schluck, dann geht es dir wieder gut!“
„Wieso willst du
wissen, dass es mir schlecht geht?“
„Da brauche ich
dich nur ansehen. Deine Augen verraten mir alles.“
„Dann weißt du
womöglich auch, warum ich hier bin.“
„Ja!“, sagte sie
kurz.
„Was ist dann
deine Antwort?“
„Es geht nicht!“
„Ich liebe dich
doch und das ist, was zählt. Ich will dich heiraten und wir gehen von hier
weg.“
Helga setzte
sich auf die Bank neben Siegbert und streichelte seine Hand.
„Ich liebe dich
auch“, sprach sie kaum hörbar.
„Dann werden wir
für immer zusammenbleiben und nichts kann uns trennen.“
„Wo wollen wir
leben? Hast du dir das überlegt?“
„Ich kann hart
arbeiten und eine eigene Sippe gründen.“
„So leicht ist
das nicht. Du bist gerade erst Jungkrieger geworden und lebst noch in der
Sippe deines Bruders. Wenn du einmal ein Krieger bist und mich immer noch
magst, dann will ich gern deine Frau werden.“
Enttäuscht sah
Siegbert zu Boden. In ihm stieg Zorn auf.
„Du willst mich
nicht haben. Ich bin dir wohl nicht gut genug? Einen Krieger willst du, den
sollst du bekommen. Doch, ob ich dich dann noch mag, das kann ich dir nicht
versprechen.“
Wütend sprang
Siegbert auf, kippte den Tisch mit der Teeschale um und rannte aus dem Raum.
Im Galopp jagte er in Richtung Schwemmteich. Ulf folgte ihm. Als er ihn
einholte, sah er Siegbert mit dem Pferd in der Mitte des Teiches stehen.
„Was ist los mit
dir, willst du dich umbringen?“, rief er ihm zu.
Siegberts Pferd
stand bis zur Brust im Wasser und rührte sich nicht.
„Mein Hengst und
ich brauchen etwas Abkühlung.“
„Komm heraus und
rede mit mir!“, rief ihm Ulf zu und wartete am Teichufer. Langsam watete
Siegberts Pferd durch den mit Schlamm bedeckten Sandboden.
„Erzähl schon!
Was war los?“
„Ich soll wieder
kommen, wenn ich ein Krieger bin, sagt sie.“
„Nimm es nicht
so schwer!“, tröstete ihn Ulf. „Du wirst ein Krieger und was für einer, das
hatte sie dir doch gestern Abend aus der Hand gelesen.“
„Ich kann mich
nicht daran erinnern.“
„Du warst schon
vom Bier so berauscht, dass du es vergessen hast.“
„Komm, lass uns
zum Priester nach Wipa reiten und überlegen, was wir gegen die Kuttenträger
unternehmen wollen!“
Siegbert musste
seinen Frust irgendwo loswerden und da kam ihm die Vertreibung der Mönche
gerade recht.
Wenige Tage nach
dem Thing ließen die Jungkrieger Taten folgen. Gruppen von ihnen stürmten in
die neuen Siedlungen der Mönche und verwüsteten deren Felder und Gärten. Die
Hütten wurden niedergebrannt und die Kuttenmänner mit Stöcken vertrieben.
Sie flohen in die Wachstationen der Franken, da dies der einzige Ort schien,
wo sie ihres Lebens noch sicher waren. Von den
Frankenkriegern forderten die Mönche, die Übeltäter zu bestrafen.
Sie wollten zurück in ihre Siedlungen
und baten um Schutz. Es gab jedoch für die Wachleute die eindeutige
Anweisung, sich nur in den Königsgütern aufzuhalten, damit Konflikte mit der
Bevölkerung vermieden wurden. So zogen viele der Kuttenträger wieder ins
Frankenreich zurück, dorthin, wo sie einst herkamen. Nur wenige blieben als
Seelsorger in den Siedlungen der Franken wohnen. Sie hofften darauf, dass
nach einem Friedensbündnis, vom Thüringer König die Religionsfreiheit
garantiert werden würde.
Zunächst einmal
hatten die Männer vom Wiesenland einen Sieg gegen die Fremden errungen und
dieses Vorgehen machte in vielen anderen Landesteilen Schule. Oft blieb es
nicht nur bei der Vertreibung der Kuttenträger, sondern es wurde auch so
mancher von übereifrigen Jungkriegern erschlagen und ihre Leichen den
Göttern als Opfergabe in den heiligen Hainen an die Bäume gehängt.
Der Frankenkönig
Theudebert, der hiervon erfuhr, wies die Wachleute an, nicht einzuschreiten,
wenn die Vertreibungen außerhalb der Königsgüter erfolgten. Er wollte die
Verhandlungen mit Herminafrid nicht erschweren. Die fränkische Kirche war
mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. Sie forderte die freie Ausübung
der Religion in allen besetzten Gebieten.
König
Herminafrid, der sich nach der verlorenen Schlacht an der Unstrut in das
Gebiet zwischen Saale und Elbe zurückgezogen hatte, äußerte sich nicht zu
dem Vorgehen seiner Untertanen. Er nutzte diesen Streit, um seine eigenen
Forderungen bei den Verhandlungen mit den Franken besser durchsetzen zu
können. Seit seiner Heirat mit Amalaberga, die Christin war, gab es unter
seinem Volk Widerstand gegen Andersgläubige. In der jetzigen Situation kam
ihm der Aufruhr sehr gelegen.
Harald, der zu
den Gemäßigten gehörte, konnte gegen diese Entwicklung in seinem Großgau
nichts unternehmen. Er sprach darüber mit dem Priester vom Oberwipgau und
zeigte sich besorgt.
„Was haben wir
nur für eine Lawine mit dem Thingbeschluss gegen die Kuttenmänner
losgetreten. Wir können das Wüten der Jungkriegertrupps nicht mehr
eindämmen. Wie wird das noch enden?“
Der Priester sah
ihn ratlos an.
„Nichts kannst
du dagegen tun. Es geht hier nicht nur um die Vertreibung der
Andersgläubigen, sondern es entlädt sich in dem Tun der Zorn des Volkes
gegen die fremden Besatzer in unserem Land.“
„Bisher haben
uns doch die Franken kaum belästigt und die meisten von uns konnten ein
normales Leben führen“, meinte Harald.
„Die fränkischen
Wachstationen stehen jedoch für die Niederlage an der Unstrut und erinnern
die Thüringer täglich daran.“
„Ich denke, dass
die Zeit eines Tages auch diese Wunden heilen wird. Wichtig ist, dass unser
König zurückkehrt.“
„Möglicherweise
hast du recht. Ich habe die Hoffnung, dass er bald kommt. Doch wann wird das
sein? Wir werden in der Nacht des vollen Mondes die Götter befragen.“
„Ich denke, es
dauert nicht mehr lange!“, antwortete Harald.
„Wieso glaubst
du das? Hast du neue Informationen aus dem Ostreich?“
„Ich habe vor
ein paar Tagen mit einem unserer Meldereiter gesprochen, der auf der
Durchreise war. Er meinte, dass die Könige noch bis zum Winter das
Friedensbündnis abschließen werden.“
„Weißt du auch,
wie der Vertrag aussehen soll?“
„Darüber hat er
nicht viel gesagt. Es wurde jedoch von der Heirat einer der Frankenkönige
mit der Tochter von Herminafrid gesprochen.“
„Die Heirat war
doch vor der verlorenen Schlacht schon einmal im Gespräch und es ist nichts
daraus geworden.“
„Vielleicht will
Chlothar jetzt die Prinzessin zur Frau nehmen.“
„Er hat doch
schon Radegunde als Gefangene und Braut bei sich“, entgegnete der Priester
überrascht.
„Wenn er die
Königstochter haben kann, wird er Bertachars Tochter wieder frei geben.“
Der Priester
kratzte sich nachdenklich am Kopf.
„Es ist nicht so
einfach, das Ganze zu durchschauen. Ich habe bei den Frankenherrschern so
meine Bedenken. Die sind sich untereinander nicht immer einig.“
„Wir können nur
hoffen, beeinflussen können wir das Ganze nicht!“, entgegnete Harald.
„Das stimmt! Es
liegt wie alles in den Händen der Nornen, unserer Schicksalsgöttinnen und
selbst die Götter haben mir bis jetzt noch kein Zeichen gesandt, wie es
einmal werden wird.“
Harald ritt
zurück nach Rodewin. Am Tor zur Siedlung kamen ihm schon die Kinder
aufgeregt entgegen.
„Was ist mit
euch?“, wollte er wissen.
„Ein großes
Wunder ist geschehen. Hartwig, dein Bruder, ist aus der fränkischen
Gefangenschaft zurückgekehrt“, riefen alle, wie aus einem Mund.
Er riss vor
Schreck so stark am Zügel seines Pferdes, dass es hoch stieg und ihn fast
abgeworfen hätte.
Überall war
große Unruhe. Die Frauen liefen weinend umher. Diesmal waren es jedoch
Freudentränen, die sie
vergossen und eine steckte die andere damit an. Harald
eilte ins Haupthaus und dort saß am Tisch Hartwig. Die Brüder gingen
aufeinander zu und umarmten sich schweigend. Es war still im Raum und man
hätte eine Erbse zu Boden fallen hören. Sie lösten ihre Umarmung und
sogleich wurde es wieder so quirlig wie zuvor. Keiner wollte etwas
verpassen.
Harald sagte zu
Hartwig: „Du wirst sicher erst einmal deine Frau und Kinder sehen wollen.
Sie sind in Alfenheim.“
„Ich habe es
schon gehört und Siegbert ist gleich zu ihnen geritten und holt sie.“
„Das ist gut.
Jetzt lass dich erst einmal richtig anschauen! Es sind zwei Jahre vergangen
und wir haben geglaubt, dass du in der Schlacht an der Unstrut gefallen bist
und dich die Walküren nach Walhall getragen haben. Jetzt bin ich aber froh,
dass du noch unter uns weilst. Erzähl, wie es dir ergangen ist!“
Hartwig sah
fragend und unschlüssig in die Runde.
„Wo soll ich
anfangen? Viel ist passiert, dass ein Abend nicht dazu ausreichen würde, all
das zu berichten, was ich erlebt habe.“
„Fang dort an,
wo wir uns zum letzten Mal gesehen hatten! Es war auf der Herminaburg, als
ich dem König unsere Niederlage meldete.“
„Das kommt mir
jetzt wie eine Ewigkeit vor und ich hoffe, dass ich nicht zu viel vergessen
habe.“
Hartwig begann
seine Geschichte zu erzählen, wie er mit den anderen Thüringer Kriegern die
Burg verteidigte und wie die Franken eingedrungen waren und ihn gefangen
nahmen. Dann der Sklavendienst bei Theudebert und die Reisen mit dem
Frankenkönig von einem Schlachtfeld zum anderen.
In dem Moment
kam Elke, seine Frau, durch die Tür und rannte auf ihren Mann zu. Sie fiel
ihm um den Hals und er bekam kaum Luft.
„Wir gehen jetzt
alle nach draußen und lassen die beiden allein“, sagte Harald und scheuchte
die Kinder vor sich her auf den Hof. Dort stand das Pferd von Elke völlig
schweißüberströmt.
„Holt etwas
Stroh und reibt das Tier ab!“, sagte Harald zu den großen Kindern und sie
fügten sich gern. Die anderen setzten sich am Rande des Hofes in das Gras
unter den Lindenbaum und Harald erzählte ihnen eine der vielen
Göttergeschichten, um die Zeit zu überbrücken, bis Hartwig weiter berichten
würde. Leise begann er zu sprechen, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen.
„Eines Tages kam
eine Hexe nach Asgard, der Götterburg der Asen. Sie zettelte dort so manchen
Unfrieden an. Die Götter wollten die Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrennen,
aber es gelang ihnen nicht. So ließ man die Hexe, die eine Trollfrau war,
wieder ziehen. Überall, wo sie hinkam, erzählte sie von der schlechten
Behandlung durch die Asen und dass sie kein Recht dazu hätten, mit ihr so
übel umzugehen.
Die Hexe kam
auch zu den Wanen, einem wenig bekannten Göttergeschlecht und fand dort
offene Ohren. Die Wanen ärgerten sich schon lange, dass die Asen sie nicht
beachteten. Jetzt wollten sie es ihnen einmal zeigen, wer die Stärkeren in
der Welt sind. Sie zogen gegen Asgard und trafen dort auf das Heer der Asen.
Odin selbst führte es an und warf seinen Speer. Das war der Beginn des
ersten Krieges in der Welt.
Am Anfang des
Kampfes schienen die Wanen erfolgreich zu sein. Sie kannten viele
Zauberkünste, mit denen sie die Götter überraschten. Doch später bekamen die
Asen die Oberhand und drängten die Gegner in ihr Gebiet zurück.
Wanheim wurde
geplündert und gebrandschatzt und viele Krieger auf beiden Seiten verloren
in diesem Kampf ihr Leben. Odins Brüder starben dabei und auch die böse
Hexe, die an allem schuld war, kam um. Da der Kampf nicht enden wollte,
vereinbarten die Anführer einen Waffenstillstand und tauschten Geiseln aus.
Die wurden aber nicht wie Gefangene, sondern wie Gäste behandelt. Von den
Wanen kam Njord mit seinem Sohn Frey und seiner Tochter Freya nach Asgard
und sie erhielten dort sogar einen Platz im Rat der Götter. Im Gegenzug
sandte Odin Huhne und seinen Freund, den klugen Troll Mime, nach Wanheim und
die Wanen wählten Huhne zu ihrem Häuptling. So endete noch alles im Guten.“
Harald hatte
gerade seine Geschichte beendet, da traten Hartwig und Elke aus dem Langhaus
und kamen zu ihnen.
„Jetzt musst du
aber weiter berichten!“, forderte ihn sein Onkel Ingolf auf.
„Lass ihn doch
erst einmal verschnaufen! Morgen ist auch noch ein Tag“, sagte Waltraut, die
Mutter, in barschem Ton.
„So soll es
sein, obwohl ich es auch kaum erwarten kann, was er zu berichten hat!“,
bestätigte Harald. „Wir werden die nächsten drei Tage ein großes
Wiedersehensfest feiern und alle Freunde dazu einladen. So kommt mein lieber
Bruder doch noch zu seiner verspäteten Hochzeitsfeier.“
Hartwig war froh
darüber, dass er sich am Ankunftstag nur seiner Familie widmen konnte.
Siegbert kam
spät mit dem Ochsenkarren an, auf dem er Ursula, die älteste Tochter von
Ulrich aus Alfenheim, und die Kinder der beiden Frauen geladen hatte. Die
Ochsen ließen sich durch nichts bewegen, schneller zu laufen. Er hätte sich
jetzt das Pferdegespann des fränkischen Handelsmannes gewünscht, mit dem er
die Strecke in einem Bruchteil der Zeit geschafft hätte.
Hartwig nahm
seine Tochter und die beiden Söhne in die Arme. Es schien ihnen nicht zu
gefallen, denn er war ein fremder Mann für sie. So umarmte er zunächst
Ursula, die Geliebte von Prinz Baldur, der die Tränen im Auge standen.
„Baldur lebt und
es geht ihm gut“, beruhigte Hartwig sie.
„Hast du ihn
gesehen?“, wollte Ursula wissen.
„Ja, ich hatte
öfter mit ihm gesprochen und er sehnt sich sehr nach dir und eurer Tochter.“
„Jetzt sind es
schon zwei Kinder“, antwortete sie schluchzend.
„Das würde ihn
sehr freuen, wenn er es erführe.“
Elke bat
Hartwig, dass er erst einmal alles über Baldur erzählen sollte. Ihr tat
Ursula so leid, dass sie ihren Geliebten noch nicht wiedersehen konnte.
Hartwig beschrieb ihr sehr ausführlich und mit bewegenten Worten, wie und wo
er lebte. Dabei liefen wieder viele Tränen, aber meistens waren es Tränen
der Freude, dass er noch am Leben ist.
Nach dem
Abendessen bat Hartwig seinen Bruder Harald mit ihm unter vier Augen
sprechen zu können. Sie setzten sich in dem großen Wohnraum zusammen und
Heidrun hatte den Männern einen Krug mit Met hingestellt.
„Ich werde nicht
lange hier bleiben können. Ich muss weiter zu König Herminafrid“, begann
Hartwig das Gespräch.
„Das wird nicht
gehen, denn die Grenze in das Ostreich ist von den Franken bewacht und es
soll kein Wolf herüber und hinüber können.“
„Das weiß ich,
doch ich reise im Auftrag des Frankenkönigs Theudebert und soll seinen
Gesandten bei den Verhandlungen unterstützen.“
„Wieso
ausgerechnet den Franken und nicht unseren König?“, rief Harald erstaunt.
„Wenn
Herminafrid meinen Rat wünscht, so werde ich auch ihm zur Verfügung stehen.
Es soll ein Bündnis für eine lange Zeit werden.“
„Die Franken
hatten schon einmal eines gebrochen. Warum sollen wir ihnen dieses Mal
glauben?“
„Theuderich lebt
nicht mehr und sein Sohn Theudebert ist ein ganz anderer Mann, als sein
Vater.“
„Wie willst du
das wissen?“
Harald sah
Hartwig zweifelnd an.
„Ich war als
Leibsklave die ganzen letzten Jahre bei ihm und habe ihn gut kennengelernt.“
„Wieso bist du
dann frei gekommen?“
„Ich habe ihm
zum zweiten Mal das Leben gerettet, dafür hat er mir die Freiheit geschenkt
und einen fränkischen Grafentitel dazu. Somit kann ich jede fränkische
Grenze passieren und mich auch im Frankenland frei bewegen“, erwiderte
Hartwig voller Stolz.
„Da steckt doch
bestimmt eine Absicht von Theudebert dahinter. Vielleicht will er dich als
Spion verwenden?“
„Du darfst nicht
so schlecht von allen Franken denken. Es gibt dort gute und böse, so wie bei
uns.“ „Das weiß ich, doch sei auf der Hut! Ich würde von dem
Grafentitel keinem was erzählen, denn mancher Thüringer würde es dir
übelnehmen, dass du den fränkischen Adelstitel angenommen hast. Wer sich mit
den Franken einläßt, dem mißtraut man.“
„Deshalb wollte
ich auch zuerst mit dir darüber sprechen, bevor ich morgen allen meine ganze
Geschichte und Erlebnisse weiter erzähle.“
Die beiden
Brüder tranken noch ihre Becher leer und Hartwig ging zu seiner Frau und den
Kindern.
Am nächsten Tag
wurde groß gefeiert. Es kamen die Verwandten und Freunde, um den
Totgeglaubten zu sehen. Viele konnten gar nicht begreifen, dass er wieder da
war, den Göttern sei gedankt. Er berichtete ihnen von seinen Erlebnissen,
doch den mißlungenen Fluchtversuch von Baldur und seine Standeserhöhung als
fränkischer Graf verschwieg er. Dann gab er bekannt, dass er zu Herminafrid
auf die andere Saaleseite musste.
Alle konnten das
verstehen. Jetzt brauchte ihr König jede erdenkliche Hilfe. Es gab viele
wohlgemeinte Ratschläge, wie er die Grenze überwinden könnte. Hartwig hörte
zu und dankte für die Hinweise.
Siegbert erfuhr,
dass sein Bruder dem König Herminafrid seine Dienste anbieten wollte. Er
wünschte sich, mit ihm zu ziehen. Harald versuchte, ihn davon abzubringen,
da es einerseits zu gefährlich war, die Grenze zu überschreiten und
andererseits seine Arbeitskraft auf dem Hof und Feld benötigt wurde.
Siegbert fing
jedoch immer wieder davon an und wollte mit seinen Freunden eine geeignete
Stelle an der Saale erkunden, wo sie leicht übersetzen konnten. Harald und
Hartwig, seine beiden älteren Brüder, konnten ihn nicht von seinem Vorhaben
abbringen.
Am Morgen des
nächsten Tages zog Siegbert mit einigen Jungkriegern los. Sie ritten zuerst
zum Rynnestig, dem uralten Weg auf dem Kamm des Thüringer Mittelgebirges,
immer weiter in Richtung Osten, bis sie vom Höhenweg aus, die Saale sehen
konnten. Am Berghang fanden sie eine Quelle. Dort schlug man ein
provisorisches Lager auf. Es erinnerte Siegbert sehr an die Übernachtungen
im Freien, während der Pferdetriebe auf die Sommerweiden.
Dieses Mal war
es jedoch viel gefährlicher. Sie mussten die Lager der Franken erkunden und
sich nicht von ihnen erwischen lassen. Harald hatte ihn gewarnt und gesagt,
dass die fränkischen Krieger mit aller Härte gegen sie vorgehen würden und
niemand ihnen helfen könne.
Von der Höhe des
Berges beobachteten sie in der Nacht, wo Feuer im Saaletal zu sehen waren.
Diese konnten nur von den Franken stammen, denn in dem Gebiet, nahe dem
Grenzfluss, lebte kein Thüringer mehr. Sie merkten sich die am nächsten
liegende Stelle und ritten am nächsten Morgen in diese Richtung.
Von weitem sahen
sie, dass sich dort ein befestigtes Lager der Franken befand. Die Krieger
hatten Holzhütten gebaut und diese durch einen mannshohen Palisadenwall
geschützt. Einer der Hauptwege führte am Lager vorbei.
Siegbert und
seine Kameraden ließen ihre Pferde im Unterholz des Waldes zurück und zwei
der Jungkrieger mussten auf sie aufpassen. Die anderen wateten durch einen
Bach, der in die Saale mündete.
Die Weiden und
das Gebüsch waren so dicht, dass sie nah an das Frankenlager herankommen
konnten. Aus sicherer Entfernung und gut geschützt, beobachteten sie das
Geschehen.
Das Leben schien
dort sehr entspannt zu sein. Nur wenige Krieger hielten Wache. Die meisten
waren damit beschäftigt, für ihr Essen zu sorgen und die Pferde zu pflegen.
Bis zum Abend
blieben Siegbert und seine Freunde in ihrem sicheren Versteck, dann
schlichen sie wieder vorsichtig zurück zu den Pferden. Sie hatten auch
berittene Trupps gesehen, die regelmäßig das Saaleufer kontrollierten. Vom
Hinterland her, schienen die Franken keine Gefahr zu vermuten. Ihre
Aufmerksamkeit war auf das gegenüberliegende Flussufer und die Furt
gerichtet. An dieser Stelle sah Siegbert keine Möglichkeit, unentdeckt
hinüberzugelangen. Da flussabwärts die Saale breiter und ihre Ufer sumpfiger
wurden, ritten sie zu den Furten, die flussaufwärts lagen.
Das Saaletal
wurde enger und war von hohen Bergen gesäumt. An jeder Stelle, wo die
Jungkrieger eine Möglichkeit der Flussüberquerung entdecken konnten, standen
Wachstationen. Es schien kein Durchkommen zu geben. Sie gelangten immer
weiter nach Süden, aus den Bergtälern, heraus. Da wurden auch die
Wachstationen größer und hier lagerten mehr Krieger.
So zogen sie
wieder nordwärts, um nochmals eines der kleinen Lager in dem engeren
Saaletal zu beobachten. Dies schien die einzige Stelle zu sein, wo man einen
Übergang durch die Saale wagen konnte und die Wachstationen nicht so eng
beisammenlagen.
Von den
Berghängen konnten die Thüringer das Gebiet gut beobachten. Mehrere Tage
blieben sie hier und spähten alles
aus, was von Interesse sein konnte. Dabei wurden sie in ihrer Deckung
unvorsichtig und von den Frankenkriegern gesehen. Diese taten so, als hätten
sie die Thüringer nicht bemerkt und lauerten der kleinen Jungkriegerschar in
einem Schilfgebiet auf.
Aus ihrem
Versteck schossen die Franken ihre Pfeile auf die Jungkrieger ab. Diese
machten sofort kehrt und galoppierten durch das Schilf in Richtung Berghang.
Eines der Tiere wurde von Pfeilen getroffen und schwer verletzt. Es stürzte
zu Boden.
Siegbert machte
kehrt und zog den Freund, der zum Glück nicht getroffen wurde, auf sein
Pferd. Zusammen galoppierten sie den anderen hinterher. Erst nachdem sie das
Unterholz erreichten, sahen sie zurück, ob sie verfolgt wurden.
Die meisten von
ihnen bluteten stark an den Beinen und Armen. Es waren nicht die Pfeile,
welche die Wunden verursacht hatten, sondern das meterhohe Schilfrohr. Der
Schreck über den überraschenden Hinterhalt der Franken steckte allen tief in
den Gliedern. Sie wollten schnell wieder nach Hause. So zogen die
Jungkrieger auf dem Kammweg, dem Rynnestig, zurück nach Rodewin.
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